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Terra Mater

Terra Mater

Titel: Terra Mater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Bordage
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bleiben oder ihr neues Leben einhauchen willst – ihr zündender Funke sein willst. Ich bin nur ein Zeuge des Geschehens, ein Bewahrer des Wortes der Indda. Ich verfüge nicht über die Macht, das Schicksal der Menschheit zu ändern. Seit mehr als eintausendfünfhundert Jahren beobachte ich, wie der Mensch an seine Grenzen stößt, nach und nach sein Geschichtsbewusstsein und somit sein Erinnerungsvermögen verliert und sich von der Ewigkeit entfernt. Ich war der Hüter der Arche des Lichts, der Wissenschaften, der Inddikischen Annalen, und viele haben sich auf die Suche nach mir begeben. Die meisten sind gescheitert, aber einige sind zu bruchstückhaften Erkenntnissen gelangt, zu einer partiellen Offenbahrung, und diese Menschen haben versucht, ihre Brüder die Fragmente des Wortes zu lehren. Und ihre Brüder haben sie gefoltert und getötet, oder sie haben in ihrem Namen fundamentalistische Religionen gegründet …«
    »Ich, ich werde diese Arche finden!«, hatte Shari begeistert gerufen.
    Der Narr hatte nur müde gelächelt. Das ihn umgebende Licht ließ seine Ehrfurcht gebietende Gestalt in der grauen Robe mit dem langen, tiefschwarzen Haar und Bart und den dunklen Augen wie entrückt erscheinen.
    »Ich werde nicht da sein, um dir helfen zu können. Aber wenn du beharrlich bist und den ausdrücklichen Wunsch haben solltest, könntest du vielleicht den Weg vorbereiten, der es der Menschheit erlaubt, zur Quelle zurückzukehren … ihrer ureigensten Quelle … Sollte dir das nicht gelingen, bedeutet es das Ende der Menschheit, und eine neue Ära wird beginnen … das Zeitalter von Hyponeros …«
    »Gib mir nur einen Hinweis! Einen einzigen!«

    Von der Gestalt des Narren inmitten der weißen Säule ging jetzt ein Strahlen aus.
    »Konzentriere dich auf den Klang, Shari Rampouline, Sohn der Naïona … Lausche dem Grundton der Schöpfung … dem Antra …«
    Seine Stimme wurde zu einem melodiösen Murmeln, zum leisen Plätschern einer Quelle. Dann herrschte Stille über dem Hymlyas-Gebirge, und Shari brach zusammen, von Schluchzen geschüttelt lag er im Gras und sah nicht, wie sich sein Gefährte in ein Wesen des Lichts verwandelte und davonflog.
    Er fühlte sich verlassen. Er hatte versagt. Verzweiflung überkam ihn, eine so große Verzweiflung, wie vor ein paar Jahren vor dem Stein auf dem amphanischen Feld. Doch der Narr der Berge, dieses geheimnisvolle Wesen, den die Amphanen – die Priester des Volkes der Ameurynen – »Höllenschlange« nannten oder Dämon, dieser Abkömmling der nuklearen Hexe hatte ihm geholfen, sein Ziel zu erreichen. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er ihn aufgenommen und gelehrt, auf dem Stein zu fliegen. Auf seine Weise hatte der Narr ihn wie einen Sohn geliebt.
    Wer würde ihm jetzt helfen? Er war ganz allein, allein mit seiner Verzweiflung. Und noch immer hörte er die Worte des Narren. Sie klangen wie eine schreckliche Anklage: »Du hattest keine Lust zum Lernen … Einen gesprungenen Krug kann man nicht füllen … Es bedeutet das Ende der Menschheit, das Zeitalter von Hyponeros …«
    Er hatte einen einzigartigen Lehrer gehabt und ihm nicht zugehört. Er hatte eine einzigartige Chance nicht genutzt. Der Hüter der Arche und der Inddikischen Annalen, der Zeuge der Geschichte der Menschheit war für immer entschwunden und seine Geheimnisse mit ihm.

    Shari schlief im taunassen Gras ein, von Selbstanklagen gequält und von Albträumen heimgesucht. Als er im fahlen Licht der Morgendämmerung erwachte, sah er an der Stelle, wo der Narr gestanden hatte, ein dorniges Gesträuch mit wie Diamanten funkelnden Blüten. Drei Tage blieb er im Zustand hilfloser Benommenheit vor diesem Strauch sitzen, in der vagen Hoffnung, seine Beharrlichkeit möge seinen Lehrer zur Rückkehr bewegen. Vögel umflatterten den Busch, wagten es jedoch nicht, sich auf seinen mit Dornen bewehrten Ästen niederzulassen.
    »Shari? Was machst du da?«, hörte er eine melodiöse Stimme hinter seinem Rücken.
    Als er sich umdrehte, sah er Aphykit und Tixu. Sie trugen prächtige Gewänder aus schillerndem Stoff, die ihre Schönheit noch hervorhoben.
    Mühsam stand Shari auf – er hatte während der drei Tage nicht einmal seine Position geändert – und warf sich in Aphykits Arme. Die Wärme und Zartheit der jungen Frau beruhigten ihn. Unter Tränen erzählte er von dem Aufbruch des Narren und wiederholte so genau wie möglich dessen Abschiedsworte.
    Da begriffen Aphykit und Tixu, dass das Überleben der

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