Terra Mater
lebhafter wurde seine Stimme. Jek hingegen hörte nur mit halbem Ohr zu. Immer wieder beobachtete er Marti, der auf der gegenüber stehenden Bank saß und seltsam starr wirkte, wie ein Roboter.
Phoenix und San Francisco flüsterten jetzt und kicherten manchmal, und Jek machte sich keine Sorgen mehr, dass der Prinz der jungen Frau beim Liebesspiel wehgetan haben könnte.
»Zweieinhalb Tage habe ich nur in Büchern geblättert. Die meisten waren für einen Ethnosoziologen, der … der ich damals war, ohne Interesse. In allen stand fast dasselbe. Doch dann, im Morgengrauen des dritten Tages, fiel mein Blick auf ein dickes verstaubtes Buch, das ich bislang übersehen hatte. Der Titel lautete: Erzählungen und Legenden unserer Mutter Erde …
»Schon wieder Legenden!«, sagte Jek und seufzte.
»Dasselbe habe ich beim Anblick dieses Buchs gedacht. Trotzdem, oder vielleicht weil es das älteste Buch der Bibliothek war, habe ich es ganz gelesen. Es wurde im Jahr 1002 unserer Zeitrechnung gedruckt, als die Planeten des bekannten Universums noch kolonisiert wurden. Einige Erzählungen spielten auf der Ur-Erde und schilderten auf anschauliche Weise den schrecklichen Krieg der Denkweisen, der der Kultur des Homo sapiens ein Ende setzte …«
»Was ist das, ein Homosipens?«
Robin lachte und erklärte: »Homo sapiens, zwei Wörter … es bedeutet vernunftbegabter Mensch, der allerdings nicht so vernunftbegabt war, wie er behauptete, weil er seinen Planeten zerstörte. Bei einigen Textstellen entdeckte ich merkwürdige Übereinstimmungen zwischen der Weltkarte, den Orationen und gewissen historischen Hypothesen. Die unbefangene Offenheit dieser Legenden bestärkte mich in der Annahme, dass alle Völker ursprünglich von einem Planeten stammten – obwohl viele moderne Historiker dem widersprechen – und infolge einer Katastrophe – dem Krieg der Ideologien – an Bord von riesigen Raumschiffen auf andere Planeten gelangten …«
In diesem Augenblick gesellten sich San Francisco und Phoenix wieder zu ihnen. Er hatte sich nur ein Cape um die Schultern gelegt und sie ihren Mantel aus Bärenfell.
»Ich hoffe, wir stören Sie nicht«, sagte San Francisco zu Robin. »Mein Herz drängte meinem Kopf, weiteres über jenes Buch zu erfahren, über das Sie vorhin sprachen …«
»Sie sind hier zu Hause, mein Prinz«, entgegnete der alte Gelehrte, insgeheim begeistert.
»Weder mein Herz noch mein Kopf betrachten jene als die meinen, die meine Gäste – unter ihnen ein Kind! – zum Tode verurteilt haben«, sagte der Jersaleminer betrübt.
»Ihre Kultur könnte auf einen Betrug gegründet sein«, fuhr Robin nach kurzem Schweigen fort. »Ihre angeblichen Territorien des himmlischen Jer Salem sind in Wirklichkeit nichts anderes als ehemalige Länder der Ur-Erde, der Terra Mater. Denn Phoenix und San Francisco sind Namen damals existierender Städte, wie ich aus einer detaillierten Weltkarte in einem vor achttausend Jahren erschienenen Buch entnehmen konnte. Die eine war im Westen eines Landes, Vereinigte Staaten von Amerika genannt, gelegen,
die andere in demselben Land im Südwesten. Ich hatte dieses Buch vergessen, doch beim Betrachten der heiligen Gleba fiel es mir langsam wieder ein …«
»Sie haben gesagt, dass dieses Buch im Jahr 1002 gedruckt wurde. Unsere Schriftgelehrten behaupten jedoch, dass sich unser Volk im Jahr 9 unserer Zeitrechnung auf Jer Salem niedergelassen hat«, sagte San Francisco. »Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sich der Kartograph dieses Buches von der heiligen Gleba inspirieren ließ.«
»Diese Möglichkeit habe ich bereits erwogen, mein Prinz, sie aber aus verschiedenen Gründen wieder verworfen. Einerseits, weil sich auf der heiligen Gleba und in der Mythologie ebenso alter Völker wie des erwählten Volkes dieselben Bezeichnungen wiederfinden lassen und diese Völker keinen Kontakt zu anderen Kulturen vor dem Jahr 5000 hatten. Also konnten sie weder auf die Bibel noch auf die Gleba zurückgreifen. Andererseits, weil ich glaube, dass der Abyner Elian, der das phraëlitische Volk zum Planeten Jer Salem brachte, und Bertelin Naflin, der Mann, der die Konföderation von Naflin gründete, ein und dieselbe Person sind …«
Phoenix richtete sich auf und sah Robin de Phart wütend an. »Mit welchen Argumenten begründen Sie Ihre Hypothese ?«, fragte sie.
»Mit keinen konkreten, wie ich leider zugeben muss. Bertelin Naflin war der Erste, der mit Tausenden Erdbewohnern in einem
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