Terra Mater
verdient dich nicht.«
»Du darfst nicht schlecht von ihm reden!«, protestierte Oniki. »Dieser Mann ist außergewöhnlich, viel mehr als nur mutig.«
»Genau das dachte ich auch über den Mann, den ich zu lieben glaubte … Die Liebe macht uns blind und dumm, kleine Schwester. Ich hielt ihn für einzigartig. Doch er wollte nur, dass ich mein Keuschheitsgelübde breche, er wollte mich nur besitzen. Er hatte mir versprochen, mich in eine andere Welt mitzunehmen … Da war ich bereits über vierzig und hätte eigentlich gegen solche Torheiten gefeit sein
sollen. Als er dann bekommen hatte, was er wollte, hat er mich bei den Matri onen denunziert und sich wie ein Dieb davongeschlichen. Den Rest kannst du leicht erraten: Ich wurde verurteilt und in Koralion drei Tage an den öffentlichen Pranger gestellt. Es war entsetzlich … Auch meine Bedürfnisse musste ich in aller Öffentlichkeit verrichten.«
Die alten Frau weinte. Noch nach zwanzig Jahren hatte sie diese tiefe Demütigung nicht vergessen – diese Wunde hatte sich nie geschlossen.
»Bedauerst du, das Keuschheitsgelübde gebrochen zu haben?«, fragte Oniki.
»Ich bedaure nur eins: mich in diesen Mann verliebt zu haben. Nicht nur, dass er skrupellos war, er war auch ein erbärmlicher Liebhaber. Mit ihm verglichen, sind die Verrückten der Insel geradezu wundervoll.«
»Willst du etwa damit sagen, dass …«
»Auch diese armen Teufel haben Bedürfnisse, wie alle Männer … Und sie sind zärtlich und befriedigen mich. Zwar ist ihr Sinn für Ästhetik ziemlich unterentwickelt, aber sie sind sehr sensibel und ausdauernd … Schockiert dich das?«
»Mich schockiert nur eins: dass du alle Männer über einen Kamm scherst!«
»Ich weiß, dass der Mann, den man liebt, ganz anders als alle übrigen ist«, sagte Soji und seufzte.
Oniki fand diese Unterhaltung plötzlich unerträglich. Sie beugte sich hinunter, umfasste einen der Vorsprünge unter dem Schild und glitt ins Leere. Ihren leicht schwingenden Körper benutzte sie dazu, mit ihrer freien Hand den nächsten Vorsprung zu ertasten. Auf diese Weise hangelte sie sich mit gespreizten Beinen wie eine Zirkusartistin immer weiter.
Soji zögerte nur kurz. Dann folgte sie ihrer jungen Mitschwester.
Beide hingen jetzt in achthundert Metern Höhe über dem Meer. Sie warf einen Blick nach unten. Die Insel konnte sie nicht erkennen, sie sah nur einen schwarzen Abgrund.
Oniki hatte bereits zwei Drittel des Weges zurückgelegt, als ein Vorsprung unter ihrem Griff wie getrockneter Lehm zerbröckelte.
»Der Überwacher-Scaythe Phass wünscht unverzüglich in telepathische Kommunikation mit dem ranghöheren Scaythen Xaphox zu treten …
Xaphox wartete ein paar Minuten, ehe er seinem Untergebenen antwortete. Phass überwachte seit neun Monaten ausschließlich den Geist Oniki Kays, der Thutalin, die zu lebenslanger Verdammung auf die Insel Pzalion verurteilt worden war.
»Und wann gedenken der Seneschall Harkot und der Muffi Barrofill dieses bedeutende Projekt zu realisieren?«, fragte Kardinal d’Esgouve. Er saß bequem in einem Sessel in seinem Arbeitszimmer im Tempel der Kirche des Kreuzes in Koralion.
»In weniger als einem Monat, Eure Eminenz«, antwortete Xaphox. Er stand vor dem großen Schreibtisch aus Holz. »Wenn der Seneschall alle Details geregelt hat …«
»Die wären?«
»Die Gründung eines Corps’ heiliger Gedanken-Auslöscher sowie die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kirche und Ang-Imperium.«
Die schlanken Finger des Kardinals spielten zerstreut mit den unter seiner Haube hervortretenden Haarsträhnen.
Auf den Wunsch des Großinquisitors Xaphox hatte er alle Diener, Assistenten und seinen Privatsekretär, den Vikar
Grok Auman, weggeschickt. Und trotz der Anwesenheit seiner beiden Gedankenschützer fühlte er sich in der Gegenwart von Xaphox nicht sehr wohl. Ängste quälten ihn. Sowohl die irrationale Angst, der Schutzschild aus Korallen könne zusammenbrechen, als auch die mögliche Entscheidung seiner Vorgesetzten, ihn in seinem Amt als Gouverneur auf Ephren zu belassen – eine Position, vor der er sich fürchtete. Außerdem kam er sich im Gespräch mit dem Großinquisitor immer auf widerwärtige Weise wie ein ertapptes Kind vor.
»Der Überwacher-Scaythe Phass wünscht unverzüglich in telepathische Kommunikation mit dem ranghöheren Scaythen Xaphox zu treten …«
»Gedulden Sie sich noch etwas, Keimling Phass«, antwortete Xaphox mental.
»Ich betone die
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