Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terra Mater

Terra Mater

Titel: Terra Mater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Bordage
Vom Netzwerk:
ihr heranwachsende Wesen zu beruhigen.
     
    In jener Nacht musste sie unter einer besonders heftigen Kälteattacke leiden. Eine abscheuliche Leere erfüllte ihre Seele, sie hatte fürchterliche Schmerzen und das Gefühl,
ihr Körper löse sich auf. Sie warf sich auf ihrem Algenbett hin und her, fand aber keine bequeme Lage. Das Kind in ihr bewegte sich ständig, stieß mit Händen und Füßen gegen ihren Bauch.
    Die erste Wehe setzte ein, schmerzhaft und heftig. Das Kind wollte nicht mehr warten. Panik ergriff Oniki: Sie hatte die große Orgelpfeife noch nicht gereinigt; ihr Kind würde, entgegen dem Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, im Dunkeln geboren werden.
    Die zweite Wehe war noch schmerzhafter. Als sie abebbte, stand Oniki auf, biss die Zähne zusammen und ging mit zitternden Knien und ohne sich anzuziehen aus ihrer Grotte. Sie musste sich beeilen, war jedoch so vorsichtig, ihre Garde nicht zu wecken.
    Auf dem Dorfplatz hatte sie die nächste Wehe. Mühsam tastete sie sich auf dem schmalen, zum Meer führenden Pfad zwischen den Felsen vorwärts, wobei ihr nur zu bewusst war, dass sie einen schier aussichtslosen Kampf gegen die Kälte, die Nacht, das Nichts, gegen den unerbittlichen Gegner ihres Prinzen führte …
    Ihre Füße versanken im schwarzen Sand des Strands. Allein der leise Wellenschlag durchbrach die ungewöhnliche nächtliche Stille. Die Schwarzmöwen schienen die Insel verlassen zu haben. Langsam ging sie ins Meer und fror. Das Kind bewegte sich immer heftiger, und das kalte Wasser löste wieder eine Wehe aus, so lange andauernd und schmerzhaft, dass sie das Gleichgewicht verlor und ins Wasser fiel. In Panik geraten, schluckte sie Wasser, zwang sich dann zur Ruhe. Und als sie den Kopf hob, hörte sei eine zittrige Stimme hinter sich.
    »Warte auf mich!«
    Sie sah die alte Soji am Strand.

    »Ich begleite dich«, sagte die Thutalin, zog ihr Algenkleid aus und ging ins Wasser.
    Oniki musterte den ausgezehrten, schlaffen Körper ihrer Mitschwester.
    »Da oben ist es gefährlich«, murmelte sie. »Und du bist schon seit Jahren nicht mehr im Korallenwald gewesen.«
    »Etwas sagt mir, dass du bald gebären wirst«, entgegnete Soji. »Außerdem weiß ich, dass ich dich mit keinem Argument überzeugen kann. Aber in deinem Zustand darf ich dich nicht allein lassen.«
    Mit diesen Worten ging sie zu ihrer jungen Mitschwester, lächelte sie an und begann als Erste mit dem Aufstieg.
    So kletterten die beiden Thutalinen die achthundert Meter am Stützpfeiler hoch. Natürlich war Soji nicht mehr so kräftig wie früher, aber sie kompensierte ihre physische Schwäche durch eine ausgefeilte Technik. Und sie fühlte sich endlich wieder frei. Vor lauter Freude summte sie die alten thutalischen Lieder vor sich hin.
    Die Zeitabstände zwischen Onikis Wehen hatten sich vergrößert. Doch jede einsetzte Wehe war während des Aufstiegs eine große Gefahr. Mehrmals hätte sie fast den Halt verloren, besaß aber die Geistesgegenwart, sich trotz ihrer Schmerzen fest an die Korallenwand zu pressen.
    Nach vier Stunden hatten die beiden den Pfeiler erklettert. Oben setzten sie sich an den Rand einer Vertiefung und ruhten sich aus. Sie waren schweißüberströmt und bluteten aus vielen Schürfwunden am ganzen Körper.
    »Und, wo ist sie jetzt, diese Orgelpfeife?«, fragte Soji, noch immer mühsam nach Atem ringend.
    »Etwa dreißig Meter von hier entfernt.«
    »Und wie kommen wir dahin? Hier gibt es keinen Verbindungssteg.«

    »Wir müssen uns am Rand des Schilds dorthin hangeln …«
    »Wenn nun aber Stücke von dem Schild abbrechen?«
    »Bis jetzt ist noch nie etwas abgebrochen. Man muss sich nur sehr vorsichtig weitertasten, und …«
    Oniki konnte ihren Satz nicht vollenden. Ein krampfartiger Schmerz durchfuhr sie. Sie krümmte sich zusammen.
    »Das ist der reine Wahnsinn!«, schimpfte Soji. »Wir müssen ins Dorf zurück, ehe es zu spät ist.«
    Onikis Gesicht war schmerzverzerrt. Sie atmete schnell und flach. Doch dann ließ der Schmerz langsam wieder nach.
    »Ich habe dich noch nie gefragt, warum du verbannt wurdest …«
    »Glaubst du, jetzt ist der richtige Moment für eine solche Frage? Wir hocken hier oben in achthundert Metern Höhe, und du wirst gleich gebären …«
    »Ich möchte dich reden hören.«
    Soji streichelte der jungen Frau zart den Kopf. »Du bist so tapfer, kleine Oniki. Zwar kenne ich den Mistkerl nicht, der dich geschwängert und dann verlassen hat, aber wer es auch sein mag, er

Weitere Kostenlose Bücher