Terra Mater
sie nichts. Nur musste sie – ohne hinunterzusteigen – einen Weg finden, die Verbannten auf der Insel von den Geschehnissen in Kenntnis zu setzen und sie bitten, ihr zu helfen. Denn der kleine Tau Phraïm entwickelte bereits einen mächtigen Appetit, und sie musste wieder zu Kräften kommen, um ihn mit ihrer Milch nähren zu können.
NEUNZEHNTES KAPITEL
Ein Diener bin ich, deiner,
Ein Sohn der Hüterin der Pforte,
Ein Lebensspender, der dich bringt
Von einem Orte
Kühn durch unendlichen Raum
Zum nächsten, schneller als im Traum.
Ich sehe nicht, ich höre nicht, ich fühle nicht.
Reinheit, klar wie Kristall ist mein Gesicht,
Ein Lied von strahlendem Klang.
Äolischer Gesang,
Das ist mein Wesen.
Und wenn du je in mir gewesen,
Weißt du: Ich wurde nur gezeugt
Zum Dienen.
Damit sich niemand mehr dem Unrecht beugt.
Amerikanische Bibel der Cheyenne-2
D ie Xaxas flogen zu Tausenden aus allen Himmelsrichtungen herbei, zum Zirkus der Tränen. Unzählige blau-grün erstrahlende, vom Himmel fallende Säulen wurden zu den Stützpfeilern eines majestätischen, unendlich großen Tempels. Da die Temperatur plötzlich um viele Grad gestiegen war, hatten sich stellenweise Pfützen auf dem vereisten Boden gebildet. Das Flügelschlagen wurde von ungewöhnlichen Lauten begleitet: harmonischen wie verzaubernden Klängen.
Ihre ausgebreiteten, transparenten geäderten Flügel glichen der Takelage eines großen Segelschiffs. Sie schwebten im Gleitflug über den Lichtsäulen. Einige Vögel waren riesig, mehr als dreißig Meter lang, andere maßen zwischen vier und fünfzehn Metern. Ihre Köpfe glichen Granaten, die Schwänze waren fächerförmig ausgebreitet. Die in ihren rostfarbenen Panzern eingelagerten Kristalle und rötlichen Streifen funkelten blaugrün.
Marti hatte sich erhoben und starrte verwundert die himmlischen Zugvögel an. Jek lag im Schnee. Der Andere brauchte die menschliche Urkraft des kleinen Anjorianers nicht mehr; sollte er doch in der Kälte sterben!
Weder San Francisco, der auf Phoenix lag, noch Robin, mit gekreuzten Armen auf der Brust, rührten sich. Die braune Haut der beiden Jersaleminer hatte eine schmutzig weiße Tönung angenommen und bildete einen immer größer
werdenden Kontrast zu ihrem schwarzen Haar. Noch atmeten sie, doch nur schwach. Bald würde der Tod eintreten.
Marti beobachtete die Tigerbären. Sie beendeten gerade ihre Mahlzeit aus Jersaleminern, die ihre Waffen weggeworfen, sich ausgezogen und den Abhang heruntergerutscht waren. Die für sie ursprünglich bestimmte Beute hatte die Raubtiere nicht mehr interessiert.
Sein Blick wanderte nach oben. Dort standen die übrigen Gardisten und starrten entsetzt auf das blutige Geschehen im Zirkus. Sie hatten nicht zu schießen gewagt, aus Angst, ihre Kameraden zu treffen. Doch dann beobachteten sie entzückt die Ankunft der himmlischen Zugvögel. Die Prophezeiung der Neuen Bibel hatte sich erfüllt, und sie hatten das Geschehen mit eigenen Augen gesehen! Das konnten sie allen erzählen. Ihre Worte würden die Hoffnung weitere achttausend Jahre aufrechterhalten.
Jetzt glitten die größten Xaxas ins Innere der Röhren und landeten mit erstaunlicher Anmut für solch große Vögel auf dem vereisten Boden. Doch sobald sie gelandet waren, verloren sie jegliche Eleganz und wurden zu jenen plumpen Kreaturen, auf die ihr Körperbau schließen ließ. Ihre Kristalle glänzten nicht mehr, als sie ihre Flügel an den Körper anlegten. Nur mühsam bewegten sie sich auf dem Eis vorwärts. Sie krochen aus den blauen Lichtkreisen und blieben dann wie erschöpft auf dem Bauch liegen. War eine der Säulen frei, begab sich sofort ein anderer Vogel hinein, um ebenfalls zu landen.
Nach und nach war der gesamte Zirkus der Tränen voll mit Xaxas. Nicht alle landeten. Tausende schwebten noch in der Luft und verdunkelten die Strahlen der Farfadets; das Rauschen ihrer Flügel glich einer faszinierenden auf- und abschwellenden Melodie.
Marti ging vorsichtig zu dem nächsten Xaxas, einem Tier mittlerer Größe, dessen Panzer leicht rauchte und schwarze Flecken, gleich Rußspuren, aufwies. Der Andere in ihm verfügte bereits über alle Daten, die das Eindringen in den Körper des Vogels betrafen.
Als Erstes galt es, die unter dem Schwanz gelegene Öffnung auszumachen, wenn die Chrysaliden (goldglänzend gepunktete Schmetterlingspuppen) ihren Wirt verließen. Marti würde nur ein paar Sekunden haben, um in den Xaxas einzudringen. Dieser würde dann
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