Terra Mater
entspannen. Wie ein Mensch, der dem Tode nahe gewesen ist, genoss sie dieses sinnliche Vergnügen
umso mehr. Nur die Erinnerung an den schönen Fremden ließ ein kurzes Gefühl des Bedauerns in ihr aufkommen.
Auf ebenso geheimnisvolle Weise wie er in ihr Leben getreten war, war er auch wieder verschwunden.
Plötzlich spürte sie die Gegenwart eines lebenden Wesens hinter dem Vorhang. Zugleich machte sich dieselbe Beklemmung in ihr breit, wie bei ihrer Begegnung mit der Korallenschlange. Sie rührte sich nicht. Das Wasser strömte weiter über ihren Kopf, ihre Schultern und Brüste. Dann siegte ihre Neugier über ihre Angst. Sie drehte den Hahn zu, wickelte sich in ein Handtuch und schob den Vorhang beiseite.
Überrascht hielt sie mitten in der Bewegung inne.
Er war zurückgekommen. Er stand in der Badezimmertür, noch immer mit einer Tunika und Pumphosen bekleidet und Sandalen an den Füßen. In seinen großen dunklen Augen glomm ein Feuer.
»Guten Tag …«
Es war das erste Mal, dass sie seine Stimme hörte, eine warme, ernste Stimme. Tropfen liefen aus ihrem nassen Haar und fielen auf ihre Schultern.
»Sie sind ein großes Risiko eingegangen, als Sie mir geholfen haben«, fuhr er lächelnd fort. »Ohne Sie hätte ich wahrscheinlich sterben müssen. Es war mir ein Bedürfnis, Ihnen zu danken …«
»Wie sind Sie hier hinaus- – und wieder hereingekommen?«, stammelte Oniki.
Sie war so verwirrt, das sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.
»Ich weihe Sie in ein kleines Geheimnis ein, wenn Sie wollen«, antwortete er und lachte, ein so melodisches Lachen, dass sie von Kopf bis Fuß erschauerte.
Sie stieg aus der Dusche und ging mit pochendem Herzen auf den jungen Mann zu. Schon jetzt wusste Oniki, dass sie sich dem schönen Fremden hingeben würde, denn auf diesen Moment hatte sie ihr ganzes Leben gewartet. Worte waren nicht nötig. Sie ließ ihr Badetuch zu Boden gleiten, schloss die Augen und warf den Kopf nach hinten. Ein Gefühl unendlicher Freude ergriff sie, ihren Körper den glühenden Blicken ihres Prinzen darbieten zu können.
Er beugte sich über sie, hob sie auf und trug sie zu dem schmalen Bett. Dann legte er sich neben sie, stützte sich auf einen Ellbogen und sah sie an
»Bin ich dein erster Mann?«
Sie nickte.
»Dann sind wir quitt. Du bist meine erste Frau. Wie heißt du?«
»Oniki«, sagte die junge Frau. Ihre Stimme war nur ein Flüstern.
»Meinen Namen muss ich dir verschweigen, schöne Oniki. Nicht, weil ich dich nicht achte, aber mein Name könnte dich in große …«
Schnell, noch ehe der den Satz vollenden konnte, verschloss Oniki mit ihrem Mund den Mund ihres Prinzen. Und dieser Kuss erweckte in ihr ganz andere Schwindelgefühle als das Streicheln des Windes auf ihrer Haut, hoch oben in den Orgelwerken. Ungeduldig zerrte sie an seiner Tunika, riss sie von seinem Körper. Sie kratzte und biss ihn, den süßen Geschmack seines Blutes in ihrem Mund.
Jetzt war sie nicht mehr Oniki, die Thutalin, die Ordensschwester, sondern eine Frau, die sich der Lust hingab, ihren Schoß für diesen geheimnisvollen Geliebten öffnete, den Unbekannten, der ihr gleichzeitig so vertraut war.
Sie umschlang seinen Rücken mit ihren Beinen, legte die
Arme um seinen Hals, damit er noch tiefer in sie eindringen konnte, damit ihre Körper für immer verschmelzen konnten. Ihr geschmeidiger Leib umschmiegte ihn wie himmlisches Moos, wie eine Korallenschlange. Sie verlor jegliche Kontrolle über sich und fiel in einen Zustand der Ekstase, in dem nichts anderes existierte als das ursprüngliche Pulsieren des Lebens. Als sie wieder zu sich kam, blickte sie in sein lächelndes Gesicht. Sie richtete sich auf und wollte ihn küssen, doch er wandte sich plötzlich ab, den Blick auf die Zellentür gerichtet, alle Sinne angespannt, wie ein gejagtes Tier.
»Sie kommen!«, flüsterte er.
Er stand auf und stellte sich neben das Bett. Oniki, brutal aus ihrem Liebesrausch gerissen, setzte sich im Schneidersitz auf ihr Bett und lauschte. Sie hörte ein leises Rascheln im Flur und hielt den Atem an.
»Ich muss gehen, schöne Oniki. Doch ich komme wieder. Was auch immer geschehen mag, du darfst die Hoffnung nie verlieren. Verliere nie die Hoffnung …«
Er kleidete sich schnell an – die Tunika war zerfetzt – und schnürte seine Sandalen. Oniki starrte auf den Riegel an der Tür. Sie hatte vergessen, ihn zuzuschieben.
»Du darfst die Hoffnung nicht verlieren …«
Zwei weiß maskierte Männer
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