Terra Mater
früh, Euch Namen zu nennen, Eminenz.«
»Mir fällt es schwer, mich in ein so gewagtes Unternehmen zu stürzen, ohne alle Beteiligten zu kennen«, entgegnete der Kardinal. Er blieb vor einer Wand stehen, und sein Blick fiel automatisch auf die in einer Luftkugel schwimmenden Sexualorgane. Seltsamerweise verursachte dieser Anblick keinerlei Ekel mehr in ihm. Die Vikare hatten Recht gehabt: Man gewöhnt sich an alles. Hatte er sich nicht bereits an den vor kurzem noch unvorstellbaren Gedanken gewöhnt, Muffi der Kirche des Kreuzes zu werden?
»Wir haben den Beweis unseres Vertrauens in Euch geliefert, Eminenz«, sagte der Vikar mit der näselnden Stimme. »Und wir hoffen, dass dieses Vertrauen auf Gegenseitigkeit beruht.«
»Wir haben wohl alles Nötige besprochen, Kardinal Fracist Bogh«, fuhr der Vikar mit der hohen Stimme fort. »Ihr wisst genug, um eine Entscheidung treffen zu können. Sollte sie positiv ausfallen, kontaktieren wir Euch rechtzeitig. Doch wie auch immer, es versteht sich von selbst, dass Ihr Stillschweigen über diese Zusammenkunft bewahrt.«
»Kann ich mir die Sache überlegen?«
»Nein. Ihr müsst Euch sofort entscheiden. Ein Nicken genügt.«
Zwar hatte sich der Kardinal bereits entschieden, doch ein Rest Misstrauen, die unbewusste Angst, zum Spielball obskurer Kräfte zu werden, ließen ihn zögern.
Vielleicht mache ich den größten Fehler meines Lebens,
überlegte er. Vielleicht wurde das Vikariat vom Muffi bestochen, um die Loyalität der Kardinäle auf die Probe zu stellen. Warum weihen mich die Eunuchen nicht vollständig in ihren Plan ein?
Doch gleichzeitig wusste er, dass seine Fragen nur beantwortet würden, wenn er diesen entscheidenden Schritt tat. Einerseits drohte ihm der Abstieg zur Hölle, ein Gerichtsverfahren vor dem Kirchentribunal und der Tod am Feuerkreuz, andererseits konnte er den Weg des Lichts beschreiten und Ruhm ernten. Beide Aussichten waren erschreckend.
Und fast gegen seinen Willen, wie im Traum, neigte er langsam das Haupt. Als er das tat, hatte er das Gefühl, sich in einen Abgrund zu stürzen.
Seine Geste der Zustimmung wurde von den Vikaren mit einer tiefen Reverenz beantwortet, einem sonst nur dem Pontifex gebührenden Gruß.
Fracist Bogh verließ die Gruft und traf im Gang seine Gedankenhüter und den Führer, der ihn hierher geführt hatte.
Als die Metalltür wieder geschlossen war, nahmen die Vikare ihre Masken ab. Bruder Jaweo Mutewa schob die Schöße seines Chorhemdes auseinander und deutete auf den Schaft seines Wellentöters, der im Gürtel steckte.
»Es wäre mir unangenehm gewesen, ihn töten zu müssen«, sagte er und lächelte triumphierend, wobei seine blendend weißen Zähne einen lebhaften Kontrast zum Dunkel seiner Haut bildeten.
»Sie scheinen ihn wirklich sehr zu mögen, Bruder Jaweo«, sagte Bruder Astaphan, der Sprecher des Vikariats. »Doch wenn er abgelehnt hätte, wäre Ihnen nichts anderes übrig geblieben.«
»Glauben Sie, dass er sein Versprechen halten wird?, fragte Mourk El-Salin, der Leiter der bischöflichen Verwaltung.
»Dessen bin ich mir sicher«, antwortete Bruder Jaweo. »Ich kenne ihn lange genug und weiß, er ist ein Mann, der Wort hält.«
»Wenden wir uns wieder unseren jeweiligen Aufgaben zu«, sagte Palion Sudri, der Leiter des Planungs- und Abstimmungwesens für hierarchische Bewegungen und Veränderungen. »Niemand darf merken, dass wir nicht an unseren Plätzen sind. Die nächste Versammlung findet zur dritten Stunde des ersten Tages statt.«
Dann gingen sie schweigend auseinander. Jeder von ihnen stellte sich andächtig vor seine »persönliche Opfergabe« – einige weinten –, ehe sie wieder in dem unterirdischen Labyrinth verschwanden, in dessen Gewirr allein sie sich auskannten.
Fracist Bogh konnte nicht schlafen. Trotz der Klimaanlage drehte er sich in dem schmalen Bett seiner Zelle im bischöflichen Palast immer wieder um – und er schwitzte in seinem Schlaf-Colancor. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die sich in Suiten der Luxushotels von Venicia einquartiert hatten, wohnte er in diesem winzigen Raum ohne Vorzimmer. Also mussten seine Gedankenhüter die Nacht im Saal der reinigenden Wellen verbringen.
Flirrende Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Die weißen Masken der Vikare, die Luftkugeln und ihr widerlicher Inhalt, dann das alte verschlagene Gesicht des Muffi Barrofill. Die purpurfarbenen Roben der Kardinäle, der blaue Mantel des Seneschalls Harkot, das
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