Terra Mater
Stunden damit verbracht, ihren Lauf am nächtlichen Himmel zu beobachten, wie sie erst zu einer Spirale, dann zu einer Kugel wurden, Figuren, die so prächtig wie antike Kirchenfenster leuchteten. Beachtenswert war auch der große Asteroid-Gürtel, ein schmales gewölbtes Band, das je nach Jahreszeit mehr oder weniger leuchtete.
Im Osten erschienen die ersten goldenen Strahlen der vier Tagesgestirne Franzias und die Umrisse der Planeten Alemane, Spain und Nouhenneland. Diese vier Sonnen hatten sich vor Millionen Jahren aus dem Sternenhaufen gelöst.
Sie hießen in der Reihenfolge ihres Erscheinens, Epsilon, Omikron, Ypsilon und Omega. Doch die Franzianer, ein faules, aber dichterisch begabtes Volk, nannten sie einfach die vier Irrwische des Alls – Irrwisch 1, Irrwisch 2, Irrwisch 3 und Irrwisch 4.
»Sie müssten gleich kommen«, flüsterte Geof Runocq.
Die schwer bewaffneten Jäger hatten sich in einer Halle der ersten Etage des Hauptgebäudes verschanzt. Von dort aus konnten sie durch die scheibenlosen Fensteröffnungen den gesamten Fabrikhof überblicken, den die Irrwische mit ihrem goldenen Licht überzogen. Alle starrten auf das Haupttor. Sie hatten es wieder geschlossen, nachdem sie das mit einem Code versehene Schloss zerstört hatten.
Als Mikl vor zwei Stunden die heruntergekommene Bar Naïmerod betreten hatte, schnarchten die Zecher noch immer. Die Bedienung war verschwunden. Er hatte sich gefragt, ob sich Geof noch an seinen Vorschlag erinnerte und ob er die Jäger wecken sollte. Zu seiner großen Überraschung waren sie ihm nicht böse, als er es getan hatte, sondern dankbar. Sie hatten nach ihren leichten Waffen gegriffen und sich sofort auf den Weg nach Nea-Marsile gemacht.
Zeit, sich umzuziehen, hatten sie nicht gehabt. Jetzt stanken sie nach Alkohol und Schweiß. In der Vorstadt hatte der Historiker Song-Nu Jien – dem die Aufgabe zugeteilt worden war, seinen Freunden das Wild (einen scaythischen Gedankenschützer!) zuzutreiben – in einem öffentlichen Holophon eine Taxikugel bestellt. Die anderen hatten sich in diesem verlassenen Fabrikgebäude versammelt. Bevor die Fabrik wegen ihrer hohen Radioaktivität geschlossen worden war, wurden dort ut-genische Erze verarbeitet. Ein idealer Ort, um jemandem eine Falle zu stellen.
»Sind Sie sicher, dass Song-Nu Jien auch mit einem Gedankenschützer kommt?«, fragte Mikl.
»Habe ich dir nicht erzählt, dass er als Historiograph an den kaiserlichen Hof zu Venicia berufen wurde?«, antwortete Geof mürrisch. Ihm war übel, und er hatte rasende Kopfschmerzen.
»Ja, und?«
»Es gibt weitaus weniger Gedankenschützer als benötigt werden«, erklärte Geof und seufzte. »Ich warte bereits seit fünf Jahren auf einen. Aber ein Mann wie Song-Nu Jien, mit einem offiziellen Titel am Hof, wird bevorzugt behandelt. Wo auch immer er sich aufhält, werden ihm die Behörden einen Gedankenschützer zuteilen. Sogar zwei, falls er es wünscht …«
»Das ist ein ziemlich gefährliches Spiel. Denn wenn Sie diesen Scaythen töten, werden die Inquisitoren sofort Ihren Freund verdächtigen und somit auch Sie.«
»Niemand wird je erfahren, dass Song-Nu Jien auf Franzia einen Gedankenschützer hat … verschwinden lassen. Diese Leute werden nicht registriert; sie haben nicht einmal einen Namen und werden je nach Bedarf eingesetzt. Auch ihre Reisen werden nicht registriert. Sie sind Fantome; Sie hinterlassen keine Spur. Und jetzt halte bitte den Mund!«
Die Argumente Geof Runocqs kamen Mikl ziemlich dürftig vor. Sein Denkvermögen reduzierte sich auf die menschliche sinnliche Wahrnehmung. Für diesen Issigorer existierte alles, das nicht aufgeschrieben oder auf einer Memodisk festgehalten wurde – oder, nach seinen Worten, keine Spuren hinterließ – einfach nicht. Doch für die Scaythen existierten weder zeitliche noch räumliche Grenzen. Denn diese Wesen standen in dauerndem Kontakt zu ihren Meister-Creatoren durch ein Phänomen, das der Mahdi Shari von
den Hymlyas »Matrix-Impulsion« nannte. Auf diese Weise fungierte das Hyponeriarchat als Zentrum der Macht, weil es die Scaythen sowohl erzeugte als auch mit bestimmten Daten ausstattete und jede Kommunikation überwachte. Sollte es also gelingen, diesen Gedankenschützer zu töten – was äußerst zweifelhaft war –, würde das Hyponeriarchat diese Tatsache im Moment seiner Zerstörung erfahren, weil alle implantierten Daten aus seiner Hülle entwichen.
Diese Erkenntnis teilte Mikl den Jägern jedoch
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