Terra Mater
voll.
Er war als Träger engagiert worden, und nicht, um sich die blödsinnigen Geständnisse eines aufgeblasenen Mörders anzuhören.
»Schon … schon lange haben wir uns diese Frage gestellt … Eine äußerst wichtige Frage für einen Jäger …«, murmelte Geof Runocq, wobei ihm fast die Augen zufielen. »Die Frage lautet: Kann man einen Scaythen von Hyponeros töten?«
Seine Beine gaben unter ihm nach. Auf der Suche nach Halt stieß er ein Glas und drei Flaschen um und fiel wie ein nasser Sack zu Boden.
»Kann man einen Scaythen von Hyponeros töten?«, wiederholte er«, schon halb schlafend. »Morgen früh … wissen wir die Antwort … Wir treffen uns hier … um drei Uhr Ortszeit …«
Mikl starrte eine Weile seinen neuen Arbeitgeber an, dann setzte er sich wieder an seinen Tisch. Er fragte sich, wie viel Prahlerei hinter Geofs Worten steckte. Wahrscheinlich ist das nichts als das angeberische Getue eines betrunkenen Spießers. Aber nichtsdestotrotz hat er eine gute Frage gestellt.
Kann man einen Scaythen von Hyponeros töten?
Auf Terra Mater hatte der Mahdi Shari diese Möglichkeit nie in Betracht gezogen. Er hatte von der vibrierenden Kette gesprochen, der leuchtenden Quelle, der alles beherrschenden Kreativität, der Göttlichkeit des Menschen, aber nie erwogen, die Scaythen mit Waffen anzugreifen.
Mikl durchforschte seine Kindheitserinnerungen. Im Jahr 2 des Ang-Imperiums hatte der Krieg auf den Ringen von Sbarao gewütet. Der Tod des Seigneurs Dons Asmussa, der qualvolle Tod seiner Gemahlin, Dame Moniaj, und der ihrer Kinder hatte das Volk empört. Alle hatten unter der grausamen Unterdrückung durch die von einem Kardinal
und zwei scaythischen Inquisitoren geleiteten kaiserlichen Truppen leiden müssen. Als Mikl sieben Jahre alt war, hatte er zusehen müssen, wie seine Eltern einen langsamen Tod am Feuerkreuz starben. Danach hatten ihn die Rebellen der Pïaï-Berge aufgenommen, und er hatte an mehreren Gefechten gegen die Besatzungstruppen teilgenommen. Seine Aufgabe war gewesen, die Waffen der Gefallenen, ob Feind oder Freund, einzusammeln. Doch auf dem Schlachtfeld, unter den vielen verstümmelten Leichen, hatte er nie einen Scaythen gefunden – als ob der Tod den Bewohnern von Hyponeros nichts anhaben könnte.
Warum? Wurde nie auf sie geschossen? Oder waren sie menschlichen Waffen gegenüber immun?
Mikl hoffte, dass Geof Runocq und seine Freunde ihren Plan realisierten. Wie er diese eitlen, aufgeblasenen Typen einschätzte, sehnten sie sich in ihrer Dummheit nach einer derartigen Herausforderung, allein, um das Gefühl zu haben, lebendig zu sein.
Plötzlich tauchte das Gesicht der rothaarigen Bedienung im Türspalt auf. Sie vergewisserte sich, dass ihre Gäste sie nicht mehr belästigen konnten, und beschimpfte die Trunkenbolde auf Altfranzianisch. Erst dann entdeckte sie Mikl.
»Du kleiner Scheißkerl!«, fauchte sie wütend. »Du hättest zugelassen, dass diese Schweine mich vergewaltigen, wäre ich nicht abgehauen.«
»Beleidige nicht meine neuen Arbeitgeber«, entgegnete Mikl kalt. »In dem Zustand, in dem sie waren, hätten sie dir kaum etwas antun können.«
»Darum geht’s doch nicht.« Sie deutete auf die blauen Flecke und Abschürfungen an ihrem Körper. »Ich habe mich in diesem beschissenen Wald verletzt. Mein Kleid ist zerrissen. Diese fetten Geldsäcke glauben, dass sie sich alles herausnehmen
dürfen. Hau bloß ab! Ich will dich nicht mehr sehen!«
Mikl stand auf und schlenderte zur Tür. Ehe er ging, drehte er sich noch einmal um und sagte:« Wenn man sich an Touristen verkauft, braucht man sich nicht zu wundern, wenn sie sich alles erlauben.«
Sie warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. »Geh zum Teufel, du Widerling!«
Mikl lächelte bitter. Den Teufel kannte er bereits, denn ihm hatte er vor sechs Jahren seine Seele verkauft.
Der Hof der ehemaligen Fabrik war leer.
Mikl betrachtete den Himmel des frühen Morgens. Es war jener magische Augenblick, an dem die Sterne über Neorop vor Anbruch der Dämmerung zum letzten Mal aufflammten.
In der Formation einer Kugel umkreisten sie den größten unter ihnen, das riesige Gestirn Betaphipsi, und bildeten auf diese Weise einen gigantischen Lüster mit vielen Farbschattierungen, die nach und nach im Westen erloschen. Weil die Sterne eine große Strahlkraft besaßen und zu dem Planeten Franzia in relativer Nähe standen, wurde es hier nie ganz dunkel. Anfangs hatte Mikl unter Schlafstörungen gelitten und viele
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