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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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plumper, süßer Schwiegermutterwein wird immer plump und süß bleiben. Das Gleiche gilt für Rotweine. Ein Blaufränkischer von Pepi Umathum aus dem Burgenland oder ein Cabernet Sauvignon von Vanya Cullen aus dem westaustralischen Margaret River kann durchaus in seiner Jugend so viele adstringierende Gerbstoffe haben, dass es ebenfalls bis zu zehn Jahre dauernkann, bis sie abgeschliffen sind. Dagegen wird ein auf Teufel heraus überextrahierter und in viel zu viel neuem Holz ausgebauter Burgunder aus einem geringen Jahr seine grünen, unreifen Tannine nie harmonisch integrieren.
    So schön sich das in der Werbung auch immer anhört: Wein hat zwar viel mit Natur zu tun, ist aber kein Naturprodukt. Wein ist ein Kulturgut. Die Trauben in einen wohlschmeckenden und lagerfähigen Wein zu verwandeln ist eine große zivilisatorische Leistung. Wein ist ein Kind der Zivilisation. Dies gilt nicht nur für die Vinifikation, sondern auch für den Weinberg.
    Die Rebe wächst hier alles andere als wild, sondern wird in einem „Weingarten“ im wahrsten Sinn des Wortes durch das Einkürzen der grünen Triebe im Sommer und besonders durch den Rebschnitt im Winter gezähmt. Nur so geht die „Kraft“ in die Trauben und nicht in immer weitere Triebe. Eine Rebe, die zehn Jahre lang nicht zurückgeschnitten wurde, bildet nur noch sehr wenige und kleine Trauben aus. Es scheint, als läge es in der Natur der Rebe, gar nicht so sehr auf den Vogel zu spekulieren, der reife Trauben pickt und den Samen in die Welt trägt, sondern sich vielmehr mit einer Vermehrung durch das Ausbilden immer weiterer Triebe, die dann bei Bodenkontakt wieder Wurzeln schlagen, zu begnügen. Auch die Winzer gehen übrigens bei der Vermehrung der Reben diesen Weg. Nachweislich seit den alten Römern werden im Winter Stecklinge geschnitten, die dann im Frühling eingepflanzt werden. Natürlich schnitt und schneidet man Stecklinge von den besonders schönen Reben. So entstanden in verschiedenen Regionen unterschiedliche Varianten zum Beispiel der Rebsorte Blauer Spätburgunder. Wo diese Praxis weiterlebt – wir bezeichnen sie auch in Deutschland mit dem französischen Wort sélection massale – unterliegen die Reben auch heute noch einem permanenten Prozess der Anpassung und Veränderung. Dem „modernen“Weinbau ist dies natürlich zu chaotisch. Hier wird geklont, das heißt, immer nur eine einzige Pflanze wird weiter vermehrt, sodass letztendlich ein Weinberg mit genetisch gleich gestrickten Pflanzen angelegt ist. Aber selbst bei diesem Verfahren verfügen – zumindest die traditionellen Rebsorten – noch über ihr riesengroßes Potenzial an Wildgenen, denen wir ihre unglaubliche Anpassungsfähigkeit an extreme Witterungsverhältnisse und ihre Robustheit gegenüber Erkrankungen verdanken.
    „Vernünftigerweise kann man sich nicht weiterhin an jahrhundertealtes Rebholz klammern“, schreibt Nicolas Joly, der führende Kopf der biodynamischen Bewegung, und propagiert die Vermehrung der Reben über Kerne. Die Samen der Trauben in die Erde stecken, das geht natürlich auch. Es entsteht allerdings, so die Saat denn bei der ihr eigenen geringen Fruchtbarkeit überhaupt aufgeht, eine neue Rebsorte. Und dummerweise trägt kaum einer dieser Sämlinge Früchte. Ganz abgesehen von der Frage, welche wertvollen Wildgene hier ausgemendelt werden und ob beziehungsweise wie der Wein dann überhaupt schmeckt.
    Die zweitausend Jahre alte Praxis der ungeschlechtlichen Vermehrung von Reben ursächlich mit dem Aufkommen der Reblaus Ende des 19 . Jahrhunderts in Verbindung zu bringen, wie man es nicht nur bei Joly, sondern auch im deutschen Klassiker der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise, in den Hinweisen aus der Konstellationsforschung von Maria Thun, nachlesen kann, zeigt einmal mehr, in welch unterschiedlichen Realitäten wir Menschen doch zu Hause sein können.
    Dabei hatte Rudolf Steiner, der Gründer der Anthroposophie, das Rätsel der Reblaus doch schon auf elegante Art gelöst. Sie kam „durch den ungleichgewichtigen Einfluss der inneren und der äußeren Planeten unseres Sonnensystems“ nach Europa. Die nach Steiner vonden „wahren Wissensquellen“ abgeschnittenen modernen Menschen des „nachatlantischen Zeitalters“ gehen jedoch davon aus, dass die Reblaus durch den regen Schiffsverkehr zur Zeit der großen Auswanderungsströme nach Nordamerika über infizierte Reben nach Europa gebracht wurde. Und da die im genetischen Code der amerikanischen Wildreben

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