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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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Hinzu kommen die Tannine, die der Wein aus den Holzfässern extrahiert. Und manchmal scheint es, besonders in sehr „modernen“ Weinen, dass auch ein hoher Alkoholgehalt in Verbindung mit Kohlensäure einen bitteren Geschmack hinterlassen kann. Richtige Bitternis im Wein, das mag kaum jemand. Aber unterschwellig, so ein wenig würzig, appetitanregend – das schmeckt klasse.
    Bei der Säure ist es ähnlich. Wenn auch das alte Sprichwort noch behauptet, Säure mache lustig – heute ziehen sich die Mundwinkel bei saurem Wein eindeutig nach unten. Wir haben alle genug Stress und ausreichend Magensäure. Und auch das Essen ist nicht mehr so fett wie früher, sodass es keinen Grund gibt, mit saurem Wein der Verdauung auf die Sprünge zu helfen. Nur, wenn die Säure ganz in den Keller geht, wird es fad und langweilig. So mancher dicke Weinbrummer käme jedenfalls mit ein wenig mehr Säure etwas leichtfüßiger und filigraner daher. Daher ist es in heißen, südlichen Gefilden– in Europa ab Burgund – gang und gäbe (und legal), den Weinen Säure zuzusetzen. Und seit die spottbilligen Sektgrundweine aus Spanien und Italien ordentlich gesäuert werden, verzichtet die Sektkellerei Faber auf den Einkauf sauren und normalbilligen Elblings von der Obermosel. Gerade Säure kann sich prima hinter Süße und Aromen verstecken. Cola und Orangensaft sind zum Beispiel wesentlich saurer als Wein. Mit einem „Sorry, Cola kann ich nicht trinken, da bekomme ich immer so Sodbrennen“ hat trotzdem wohl noch niemand das angebotene Glas des braunen Gesöffs abgelehnt. Nun ist Säure nicht gleich Säure. Wir sprechen von einer grünen, unreifen Säure und einer reifen, angenehmen Säure. Und die ist alles andere als sauer, sondern vermittelt das Gefühl von Frische, Lebendigkeit und feingliedriger Aromatik.
    Das größte Reizwort beim Wein ist der Zucker. Als hätten urcalvinistische Sekten zugeschlagen: Süß ist Sünde, Zucker ist schlimm, gepanscht, schädlich. Süß, das war der Wein, den Tante Elfriede bei der Konfirmation am Sonntagnachmittag auf den Nierentisch zauberte, süß, das war der Wein aus dem geschliffenen Kristallglas auf der Fernsehcouch am Samstagabend bei Wim Thoelke. Und dann kam der Frostschutz und der Flüssigzucker und die originalverkorkste und pelzige Spätlese von Loriot.
    Das Wort trocken in Verbindung mit Wein schlägt momentan alle anderen Qualitätsbezeichnungen. Höchstens bio kann da noch mithalten. „Für mich einen trockenen Weißen“, „Ich trinke nur trocken“. Ein geläufiges Bonmot unter Winzern lautet: „Trocken soll draufstehen, aber ein bisschen süß soll er schmecken.“ Tut er dann meistens auch. Der hohe Alkoholgehalt, die meist erlaubten neun Gramm Fruchtzucker pro Liter, die konzentrierten Fruchtaromen, die blumige Vanille aus dem neuen Holzfass, das alles schmeckt wunderbar süßlich und kann ohne abfällige Blicke des Tischnachbarn getrunkenwerden. Ob Pinot Noir oder Nebbiolo, durch Maischekurzzeiterhitzung bekommt der Wein marmeladige Aromen, und ein Sangiovese ohne einen guten Schuss Merlot gehört in der Toskana zu den Dinosauriern, den nur noch einige wenige Weinfreaks mögen. Das Herz sagt Ja zur Süße – nur der Kopf will es nicht wahrhaben.
    Egal woher die Süße des Weins resultiert, wichtig ist eine geschmackliche Ausgewogenheit im Vergleich zu den anderen Komponenten. Viele Versuche haben gezeigt, dass Weine mit einem hohen Anteil von Fruchtsäure selbst bei einem Gehalt von zwanzig Gramm Fruchtzucker pro Liter noch als geschmacklich trocken bezeichnet werden, während viele säure- und extraktarme Weine schon bei fünf Gramm süßlich schmecken können.
    Viele Weine, egal in welcher Preisklasse, sind einfach unharmonisch. Sie sind zu süß oder sie haben zu wenig Zucker. Andere haben zu viel oder zu wenig Bitterstoffe, Säure oder Alkohol. Beim Verkosten solcher Weine bleibt man unwillkürlich an der Disharmonie dieser Grundgeschmacksarten hängen. Man ist vom chemischen Grundgerüst eines solchen Weines derart blockiert, dass sich einem die wirklich spannenden Dimensionen – so sie denn vorhanden sind – nicht erschließen können. Natürlich ist es wichtig zu wissen, welchen Weintyp man vor sich hat. So manche restsüße Mosel-Spätlese von den Prüms, den Haags oder von Theo Haart kann bis zu zehn Jahre lang limonadig schmecken, bevor die Mineralität durchbricht und der Wein sich zu einem einzigartigen, filigranen Geschmackserlebnis verwandelt. Aber Achtung, ein

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