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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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ist seit einigen Jahren in der französischen Ökobewegung respektive in Pariser Spitzenrestaurants der Renner. Vor allem seit durch eine EU-Verordnung, nach der jeder Wein mit mehr als zehn Milligramm SO 2 die Bezeichnung „Enthält Sulfite“ auf dem Etikett tragen muss, die Scharlatane vom Markt sind. Ohne Schwefel ist der dernier cri . Sehr oft allerdings auch gleichzeitig der dernier gout . Bei Rotweinen klappt es ganz gut. Hier kann der hohe Gehalt an Gerbstoffen die reduzierende Wirkung des Schwefels übernehmen. Zumindest eine Zeit lang und wenn die notwendige Kühlkette des Weins nicht unterbrochen wird. Beim Weißwein allerdings sieht es anders aus. Was in Trendrestaurants wie im Repaire de Cartouche oder im Chez Ramulaud als Weißwein sans soufre ausgeschenkt wird, erleben viele Normalsterbliche als Körperverletzung.
    Und doch gibt es engagierte Kellermeister, die es schaffen, neben Roten manchmal sogar auch wohlschmeckende Weißweine ohne Schwefelzugabe zu vinifizieren. Einmal mit technischen Tricks, das heißt mit Methoden, die im Grunde genommen der Ökoidee eines natürlichen Weinausbaus widersprechen. Die Forschungsanstalt Geisenheim, die sogar ein Patent auf schwefelfreien Wein besitzt, vinifiziert und verkauft einen gar nicht mal so übel schmeckenden Müller-Thurgau …
    Die meisten der schwefelfreien Weine entstammen allerdings Winzerkellern, in denen es nicht nur nüchtern-ökologisch, sondern auch, wie es im modernen Sprachgebrauch so heißt, esoterisch zugeht.
    So – oder im Komparativ als „esoterische Spinnerei“ – werden ja gern die Beschreibungen von Phänomenen bezeichnet, die dem traditionellen bürgerlichen Wissenschaftsbegriff mit seinen Kriterien der logischen Ableitung und Reproduzierbarkeit nicht genügen. Es sei denn, es geht um religiöse Dinge, da getrauen sich in Europa nur wenige, sich die Finger beziehungsweise den Mund zu verbrennen, zumindest solange es sich um das Christentum und neuerdings um den Islam handelt. Auch bedeutende Wissenschaftler sind tabu. Wenn Astrophysiker von kosmischen Wurmlöchern und Quantentheoretiker von der Zeit, die auch mal rückwärts laufen kann, berichten, kapiert das zwar niemand und klingt das für die Mehrheit genauso schräg wie das Auspendeln der Erdstrahlen im Weinkeller, aber weil es sich hier um berühmte und hoch dotierte Professoren handelt, können sie keine esoterischen Spinner sein. Es sei denn, sie verletzten die Spielregeln und sind wie der vor den Nazis in die USA geflohene Psychoanalytiker Wilhelm Reich nicht nur Jude, sondern auch noch Kommunist und Sexualforscher. Als führender, heute würde man sagen, Körperpsychotherapeut entwickelte Reich im Kontext seiner Krebsforschung die Idee des Orgons, einer Energie, die in speziell von ihm – natürlich aus Weinfässern(!) – gebauten Orgonakkumulatoren für den Menschen heilend eingesetzt werden konnte.
    Es scheint, als hätte Reich in seinen Schriften, in denen er Krebserkrankungen auf energetische Störungen des Körpers zurückführt, die sich auch in der Unfähigkeit der bedingungslosen körperlichen Hingabe manifestieren, den Bogen für das paranoide McCarthy-Nachkriegsamerika überspannt. Ihm wurden „Wahnvorstellungen“ angehängt, er verletzte „gerichtliche Auflagen“ und starb 1957 im Gefängnis an Herzversagen. Die Orgonakkumulatoren und alle Arbeiten Reichs, in denen das Wort Orgon vorkam, wurden auf staatliche Anweisung verbrannt.
    Erst Ende der 60 er-Jahre wurden in der Hippie- und Studentenbewegung die Ideen Reichs wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Und die Vorstellung, dass es möglich ist, positive Energien zu bündeln, um sie dann nutzbringend einzusetzen, wurde von vielen, auch von Winzern aufgegriffen.
    Nach einer Zeit des sektiererhaften Aus- und Abgrenzens sagen heute viele, dass es ihnen ziemlich egal ist, ob diese Energie nun als Orgon bezeichnet wird oder fernöstlich als Lebensenergie Qi oder Chi. Ob sie als kosmische oder irdische Energie mittels Reiki, Orgon „beamer“ oder Feng-Shui in Weinberge und Keller fließt. Ob sie an materielle Träger wie homöopathische Globuli, Kristalle, Bachblüten gekoppelt oder an diverse andere Trägersubstanzen wie bei Roland Plochers Integral-Technik oder durch dynamisierte und fein versprühte Präparate der Anthroposophen.
    Stopp, ruft der Anthroposoph entsetzt. Nicht mit mir. Bei uns geht es nicht um Esoterik, sondern um Wissenschaft! Rudolf Steiner habe schließlich die Gabe gehabt,

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