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Terroir

Terroir

Titel: Terroir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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Barcodes greift die Lebenskräfte des Produkts an.“ Oder dass die Rebe „eine Gefangene der Erde“ sei. „Dieses Joch der Schwerkraft beherrscht sie völlig.“ Ob sie vielleicht deshalb, wie uns der Bhagwan des Weins kundtut, gleich nach der Sonnenwende das Wachstum der Ranken einstellt?
    Und die Reblaus? Auch hier öffnet sich das Fünfte Evangelium einen Spalt und offenbart sich: Nach Joly versiegte das intuitive landwirtschaftliche Wissen gegen Ende des Mittelalters. Da es noch nicht zulässig war, Weinstöcke mit Stallmist zu düngen, waren die Böden ausgelaugt. Darüber hinaus wurden die Reben nicht über Samen, sondern über Stecklinge vermehrt, sodass sie oft mehrere hundert Jahre alt waren und dringend einer Aufzucht durch Sämlinge bedurft hätten. So brach die Widerstandsfähigkeit des Weinstocks zusammen. Und das Elend nahm seinen Lauf.
    Für die Nichtwinzer: Den Ranken eines Rebstocks ist die Sonnenwende ziemlich egal, sie wachsen manchmal noch im September. Das Ausbringen von Stallmist war im Mittelalter meist exakt geregelt und war bis nach dem Zweiten Weltkrieg die übliche Form der Düngung eines Weinbergs. Und die Vermehrung einer Rebe durch Stecklinge ist spätestens seit den Römern die übliche Praxis. Jeder Winzer weiß, dass eine Rebsorte nur auf diese Weise vermehrt werden kann. Beieiner aus dem Samen gezogenen Pflanze entsteht eine neue Sorte, die in nur seltensten Fällen überhaupt Früchte trägt. Ganz abgesehen vom Geschmack des Weins. Und die Reblaus kam, wie oben schon beschrieben, mit den Auswandererschiffen nach Europa.
    Es passt zu dem primitiv-scholastischen Es-gibt-nur-eine-Wahrheit-Postulat der Anthroposophen, dass Nicolas Joly auf der Feststellung insistiert, dass es nicht möglich sei, nur zu fünfundneunzig Prozent biodyn zu sein, weil es ja auch bei der Schwangerschaft nur ein Entweder-oder gibt. Wer nicht zu hundert Prozent dabei ist, dem fehle, so schreibt er, die Ernsthaftigkeit, der sei lächerlich.
    Dies ist kein großes Kompliment für die Mitglieder der weltweit um die achtzig Winzer zählenden Gruppe, die nun schon seit einigen Jahren in der Gefolgschaft von Joly von Tokio bis New York zu wirtschaftlich sehr erfolgreichen Degustationen einlädt. Denn hier finden sich neben vielen, die nur in Teilbereichen biodynamisches Gedankengut umsetzen, auch solche, die erklärtermaßen gar keine Anthroposophen sind und sich eher als Sympathisanten bezeichnen würden.
    Bei den unglaublichen Marketingerfolgen von biodyn ist die Mitgliedschaft in der Gruppe heiß begehrt. Bio ist schon super, aber biodyn: Das gibt momentan weltweit den ultimativen Marketingkick. Oder -gag? Was sich beim Probieren einiger Exponate auf der Zunge abspielt, weist eher in letztere Richtung. Nachdem Joly, der vor einigen Jahren den Schwefelzusatz im Wein noch verteidigte, auf dem Sans-soufre -Trip ist, finden immer mehr Weine wieder zurück zu ihrer „Wesensbestimmtheit“ und liefern geschmacklich einen „harmonisierten“ Beitrag zur anthroposophischen Lustfeindlichkeit.
    Joly hat völlig recht mit der Feststellung, die Biobewegung sei „Schnee von gestern“. Bleibt die Frage nach den passenden Adjektiven zur Beschreibung der Biodynamie.

9
W ER NACH AUSSEN BLICKT, TRÄUMT, WER NACH INNEN BLICKT, ERWACHT
    Carl Gustav Jung
    S OLANGE DIE S ONNE AM F IRMAMENT STEHT UND DIE P LANETEN UM SIE HERUMKREISEN, WAR DAS NICHT GESEHEN WORDEN, DASS DER M ENSCH SICH AUF DEN K OPF, D. I. AUF DEN G EDANKEN, STELLT UND DIE W IRKLICHKEIT NACH DIESEM ERBAUT.
    Georg Friedrich Wilhelm Hegel
    Die Französische Revolution symbolisiert, wie Hegel es so schön beschreibt, eine neue Qualität in der Menschheitsgeschichte. Es ist die fantastische Vision, die Welt neu und human zu gestalten, Kultur und Wohlstand zu kreieren. Und dies aus eigener Kraft und eigenem Können, ohne dabei auf die Gnade der Götter angewiesen zu sein. Omnipotenzfantasien, die in früheren Zeiten höchstens auf den einen oder anderen Helden projiziert wurden, ergriffen ganze Länder und Bevölkerungsschichten und beflügelten die Menschen zu ungeahnten Höhenflügen.
    „Dieses Problem bekommen wir in den Griff.“ „In Zukunft wird alles besser.“ „Die Wissenschaftler stehen vor einem großen Durchbruch.“ „Du musst dich nur organisieren und dein Schicksal selbst in die Hand nehmen, dann wird alles gut.“ Dass der klare Geist der Aufklärung nicht dazu geführt hat, soziales Elend und Kriege zu verhindern, gehört zu den schmerzhaften

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