Terroir
hinein.“ Alles klar, oder?
Steiner beschreibt den landwirtschaftlichen Betrieb als lebendigen Organismus mit einem möglichst großen Spektrum von Agrarprodukten, in dem der Dünger durch Rinderhaltung selbst erzeugt wird. Um Pflanzen und Tiere vor Krankheiten zu schützen, sie zu stärken und letztlich ihren Gesundheitswert zu steigern, kommen eine Vielzahl von (meist) selbst aus Kräutern oder Knochen hergestellten Präparaten zum Einsatz. Ihre Herstellung wie auch spätere Verwendung folgt klaren Regeln, die sich aus dem Symbol des Ursprungspräparats (zum Beispiel Hirschgeweih = Antenne zum Kosmos) ableiten, und durch ein kompliziertes Geflecht aus kosmischen Wachstumsfaktoren definiert sind: Licht, Wärme, Elektrizität, Magnetismus, kosmische und irdische Anziehungskräfte von Erde, Mond, Sonne und den anderen Planeten. Durch die Herstellung und den Einsatz der Präparate entsteht eine ursprüngliche „Form“, ein harmonisches Zusammenspiel von Pflanze, Tier und Mensch.
In ihren Beiträgen zur biologisch-dynamischen Landwirtschaft ist die Anthroposophie alles in allem ein heimeliges, ganzheitliches Heile-Welt-Konzept, im schlechtesten Sinne des Wortes scholastisch bis zum Abwinken und prall gefüllt mit als Wissenschaft bezeichneter obskurer Mythologie. Scheinbar genau das Richtige für die frustrierten Stiefkinder der Aufklärung. Damals wie heute.
Einerseits gibt das axiomatische Denkgebäude dem verunsicherten Individuum großen Halt. Auf der anderen Seite ist es aber derart kompliziert gestrickt, dass auch ein intelligenter Mensch dabei nicht das Gehirn-an-der-Garderobe-abgeben-Gefühl bekommt wie bei den maoistischen Splittergruppen oder den Baptisten im amerikanischen bible belt . Denn schließlich gilt es ja, sich so lange durch die Verästelungen Steiner’scher Konstrukte hindurchzudenken und hindurchzufühlen, bis man dann selbst dereinst das Fünfte Evangelium lesen kann.
Die Anthroposophiebewegung boomt. Auch in der Weinszene. Wie, beim Wein? Der lustfeindliche Alkoholhasser Rudolf Steiner als Oberguru der Winzer? Ja. Rein theoretisch hätte es ja eine nach vorn gerichtete Rezeption Steiner’scher Gedanken geben können. Hätte man im Kontext des Bankrotts mechanischen Dampfmaschinendenkens und fortschreitender Industrialisierung der Landwirtschaft die sinnvollen Aspekte wie den ganzheitliche Ansatz und die ökologisch wertvollen Präparate herauspicken und weiterentwickeln können. Aber die kollektive Sehnsucht nach Vernebelung der Hirne war größer. In seiner kosmischen Weisheit ließ der Anthro-Himmel in der Weinwelt eine neuerliche Lichtgestalt inkarnieren: Nicolas Joly.
Der Winzersohn aus dem französischen Savennières beendete 1978 seine Karriere beim kanadischen Finanzministerium um back home das elterliche Weingut an der Loire zu bewirtschaften. Innerhalb von nur drei Jahren hat er es auf biologisch-dynamische Wirtschaftsweise umgestellt. (Schon der erste Hinweis auf seine Gottähnlichkeit, denn andere benötigen dafür sieben Jahre.) Seit dieser Zeit publiziert er, ist ein gern gesehener Gast in Talkshows und hält missionarische Vorträge über biologisch-dynamischen Weinbau. Dabei entpuppt er sich als eifernder Epigone seines Meisters. Wie Steiner ist er auf dem Beweistrip, „damit man uns nicht als ‚Hexenmeister‘ verleumden kann“. Man darf nicht „in der Intuition verharren, dem Glauben an energetische Ordnungen, sondern muss sich auf eine wissenschaftliche Vorgehensweise einlassen, getragen von einer Generation glaubhafter Forscher“.
Verschwörungstheorien lassen die Ohren klingeln. Wen er wohl meint, wenn er von der „mächtigen Lobby“ spricht, die versucht, alle wissenschaftlichen Studien „zum Schweigen zu verurteilen“, für die unsere Regierungen nur ein „Spielball“ sind und deren „geheimes Räderwerk“ in unserer Gesellschaft die Chefpositionen besetzt?
Wie Steiner beschwört auch Joly mit alchimistischem Vokabular die Rückbesinnung auf das „alte Wissen“, die hippokratische Viersäftelehre, die Alchimie und die Natur- und Formenlehre Goethes. Dabei erfährt der geneigte Leser allerlei kosmische Wahrheiten. Zum Beispiel, dass es die Gravitationskraft ist, die beim Menschen die Vorstellung von einem Ich entstehen lässt. Oder dass – im biologischen Anbau erlaubte – Düngersalze die „früher kaum giftige“ Bordeaux-Brühe aus Kupfervitriol und Kalk unwirksam haben werden lassen. Wir partizipieren an Weisheiten wie: „Das Einlesen des
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