Terroir
Produktion zu beschäftigen. Verschiedene Ökoverbände wurden gegründet. Sie organisierten und lehrten den chemiefreien Anbau von Agrarprodukten in den nunmehr überall entstehenden Ökobetrieben. Gemüse, Obst, artgerechte Milch und Fleischproduktion. Und Wein. Durch alle Sparten wehte damals der bis heute nicht gebrochene Glaubenssatz: Durch die Technisierung und Chemisierung der Landwirtschaft wurde das Bodenleben abgetötet und die Pflanzen wurden so geschwächt, dass sie sich gegen Erkrankungen nicht mehr wehren können. Wenn wir nun hingehen und die Böden heilen und die Pflanzen und Tiere gesund ernähren, werden sie so stark, dass sie sich selbst gegen Krankheiten wehren können. Und falls nicht, gibt es natürliche und gesunde Präparate.
Die Fronten waren klar. Kapitalistisches Großunternehmen versus bäuerlicher Familienbetrieb. Kunstdünger und synthetisch hergestellte Pestizide versus Kompost und Pflanzenstärkemittel auf natürlicher Grundlage. Altes Wissen unserer Vorfahren versus Empfehlungen der Chemieindustrie. In den 70 er- und 80 er-Jahren hat die Ökobewegung die Landwirtschaft ganz schön aufgemischt. Die konventionellen Landwirte und die Pressesprecher von BASF & Co. argumentierten mit dem Rücken zur Wand und reagierten: Peu à peu wurden die Düngeempfehlungen reduziert und die zugelassenen Mittel umweltverträglicher. Schließlich will man ja auch in zwanzig Jahren noch im Markt sein. PR-Agenturen drehten den Spieß herum und feierten die „Konventionellen“ als die wahren Ökos. Mit mäßigem Erfolg. Denn auch wenn verschiedentlich hochtoxische Insektizide verboten wurden, Breitbandfungizide durch spezifisch wirkende und Nützlinge schonende Präparate ersetzt und Düngerempfehlungen von bis zu dreihundert Kilogramm Stickstoff pro Hektar Rebfläche auf vierzig Kilogramm reduziert wurden: Spritzen bleibt in den Augen vieler Verbraucher Spritzen, und Kunstdünger bleibt Kunstdünger. Und wenn die Applikation dann auch noch durch einen besonders großen Traktor oder gar durch einen Hubschrauber vorgenommen wird … Gleichgültig ob der Hubschrauber nun konventionelle oder ökologisch zertifizierte Mittel ausbringt, mehrheitlich wird sein Einsatz als ein martialisches Vergewaltigen von Natur erlebt, oftmals verbunden mit widerlichen Erinnerungen an Agent Orange aus dem Vietnamkrieg.
Nun ist die Idee, die Pflanze zu stärken, damit sie sich gegen Erkrankungen selbst wehren kann, im Weinbau insofern von vornherein zum Scheitern verurteilt, da die aus Amerika eingeschleppten Pilzkrankheiten – wie an anderer Stelle schon beschrieben – in Europa auf Reben trafen, deren Gene im Lauf der Evolution noch keine Zeit hatten, durch Mutationen resistent zu werden. Das Einkreuzen pilzresistenter Sorten brachte bislang keine geschmacklich befriedigenden Ergebnisse, und die Option einer genetischen Manipulation ist sowieso tabu. So bleibt also auch im Ökoweinbau nichts anderes übrig, als neben pflanzenstärkenden Mitteln auch fungizid wirkende Präparate zu spritzen. Die Frage ist nur, welche?
Bei der Bekämpfung tierischer Schädlinge stellt sich ein ähnliches Problem. Auch hier zeigt die Praxis, dass es beileibe nicht so ist, als würde sich die Pflanze etwa gegen die Attacken von Heu-, Sauer- und Süßwurm wehren können. Auf diesem Schlachtfeld wird auch deutlich, dass die natürlichen Produkte nicht zwangsläufig die guten sind. Das in den Kindertagen der Ökobewegung in der Literatur nochempfohlene Nikotin ist so toxisch, dass es schon vor dem Krieg im Weinbau verboten wurde. Und die anfängliche Euphorie für das Insektizid Pyrethrum war schnell verpufft, nachdem bekannt wurde, welche Nervenschäden es, ob aus den Blüten von Chrysanthemen gewonnen oder synthetisch hergestellt, verursachen kann. Als intelligente Variante sind nach wie vor gezüchtete Bakterien namens Bacillus thuringiensis im Einsatz, deren Gift die Würmer vernichtet, während es für Warmblütler völlig unschädlich ist. Einfacher in der Applikation und wirkungsvoller ist ein Präparat namens RAK. Das sind weibliche Sexualduftstoffe, die den männlichen Schmetterling so verwirren, dass er keine Geschlechtspartnerin mehr finden kann. Keine Befruchtung, keine Eiablage, keine Trauben fressenden Würmer. Nicht gerade die feine Art, den Schmetterlingen den Spaß am Leben zu verderben, aber es funktioniert. Und es ist ja auch nur ein Schmetterling. Da regen sich keine Tierschützer auf. Höchstens Verbraucher, wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher