Terroir
wüssten, dass im Ökoanbau synthetisch hergestellte Sexualhormone zum Einsatz kommen.
In der Abgrenzung zum konventionellen Weinbau galt es, die Mittel zur Bekämpfung der Pilzkrankheiten in gut und böse zu unterscheiden. Die Vorkriegspräparate Schwefel und Kupfervitriol, so entschied die Ökoszene in den 70 er-Jahren, wurden erlaubt und der Einsatz der „modernen“ Mittel und hier insbesondere derjenigen, die sich aus synthetisch hergestellten organischen Verbindungen bestehen, wurden verboten. Diese Mittel sind teilweise nicht nur schwer abbaubar, sondern sie haben so komplexe Moleküle, dass der Abbau gar nicht exakt beschrieben werden kann. Das größte Problem liegt jedoch darin begründet, dass die Pilze lernen, Resistenzen zu entwickeln. Das freut natürlich die chemische Industrie, kann sie doch immer neue Patente anmelden und immer teurere Spitzmittel verkaufen. Aber mit der Idee von Bio hat das natürlich nicht viel zu tun.Aber ob diese Spritzmittel nun schlimmer sind als die im Ökoanbau verwendeten Kupferpräparate? Wer will das festlegen? Als Schwermetall ist Kupfer toxisch und lagert sich im Boden an. Es gibt Weinbergsböden, in denen die gesetzlich erlaubte Kupferkonzentration um das Hundertfache überschritten ist und die eigentlich als Sondermüll entsorgt werden müssten. Das liegt jedoch weniger an den Biowinzern, sondern an den hundertfünfzig Jahren, in denen in traditionellen Weinbergen nun schon Kupfer gespritzt wird. Sicherlich liegen die heute eingesetzten Kupfermengen pro Hektar insbesondere bei den deutschen Biowinzern sehr niedrig. Aber dennoch …
Wer das Kindergartenschema von Gut und Böse verlässt und die Frage nach dem sinnvollen Kompromiss zulässt, hat es gar nicht so einfach. Die für Ökoprodukte sensible Bevölkerung hat normalerweise so wenig Insiderwissen und ist den von Gute-Menschen-Moral und Heile-Welt-Ideologie triefenden Ökoklischees derart verhaftet, dass sie von Kompromissen nichts hören will. Und Winzer, die sich, losgelöst von der Sinnhaftigkeit vieler Ökovorschriften, selbst Gedanken machen, sind ganz schön am Schleudern. Allein schon so simple Fragen, wer denn nun schutzbedürftiger sei, der Winzer, der Regenwurm oder der Verbraucher, mag niemand gern beantworten. Trotzdem kann sich kein Winzer vor der Entscheidung drücken, ob zum Beispiel das Unkraut von Hand ausgerupft, ausgehackt oder gemäht werden soll, ob man ihm mit einem Traktor und einer passenden Anbaumaschine mechanisch oder durch ein Abflammgerät zu Leibe rücken will oder ob chemische Unkrautvernichtungsmittel ausgebracht werden sollen. Je nachdem wie steil und steinig ein Weinberg ist, scheiden zwar einige Verfahren von vornherein aus, aber trotzdem steht die Frage im Raum, ob die Chemie a priori immer schlimmer ist als der Traktor, dessen Produktion ja auch in die Ökobilanz eingeht, der fossile Brennstoffe nicht nur in Energie, sondernauch in giftige Abgase und Rußpartikel umwandelt, der den Boden verdichtet und Bodenleben zerstört. Ist, so man den Menschen als schützenswertes Gut in die Ökobilanz einbezieht, ein Arbeitsplatz mit acht Stunden in der prallen Sommerhitze mit der Hacke in der Hand in Ordnung? Oder in steinigen Steillagen in gebückter Stellung die Stockwinde von Hand ausreißend? Und wenn, wie viel teurer darf denn der Wein durch Verzicht auf Traktor und Chemie werden? Ein Euro, zwei Euro, drei Euro?
Es ist allzu verständlich, dass hier meist mehr mit Gefühl denn mit Verstand gehandelt wird und dass auch die Ökorichtlinien den Spagat zwischen Marketing und dem Bezahlbaren machen müssen. Und dass jeder Winzer den für seine Region oder Betrieb herausgearbeiteten und sinnvollen Kompromiss als Ökorichtlinie versucht festzuschreiben. Den Traktor verbieten und wieder Pferde und Mulis einführen wäre undenkbar. Traktoren sind daher – manchmal mit dem Hinweis auf bodenschonende Reifen – im Ökoanbau erlaubt. Chemie ist, sofern sie aus der Fabrik stammt, mehr oder weniger verboten, und der Mensch als Teil des Ökosystems ist in den Anbauvorschriften nicht vorgesehen.
Wäre dem so, ließe sich das als einen Hinweis auf eine längst überfällige Weiterentwicklung der Ökobewegung interpretieren. Deren ideologische Basis – sie wird bezeichnenderweise seltener von den Ökowinzern selbst als von Verbandsfunktionären und Journalisten formuliert – ist ja die These, dass es der böse Mensch ist, der durch seine Eingriffe in die Natur letztlich für die Krankheiten
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