Terroir
Erfahrungen der Mehrheit der Menschheit in den letzten zweihundert Jahren. Kann man es ihnen, ganz besonders nach dem Verlust der sozialistischen Utopie, verdenken, wenn sie von diesen Sprüchen die Nase voll haben? Wenn sie resignieren, wenn die Vision der bürgerlichen Gesellschaft, der freie, gleichberechtigte und solidarische Citoyen, abgelöst wird von einem Zurück zu fundamentalistischem Blut-und-Boden-Denken? Menschen, die man längst in die moderne Gesellschaft integriert wähnte, definieren sich immer mehr über ihre regionale oder ihre ethnische Gruppenzugehörigkeit. Die Suche nach Heimat, nach Identität verirrt sich immer mehr im Kitsch und in alten, archaischen Strukturen. Ganz im Sinn und zur Freude rattenfängerischer Politiker, die damit ihre revisionistischen Süppchen kochen, und von marktorientierten Unternehmen, die sich diese Sehnsüchte im Tausch mit irgendwelchen Waren oder Dienstleistungen gut bezahlen lassen.
Auch beim Wein. Terroirwein, in dem man das vermeintlich Echte, das Wahre schmecken kann, bietet sich hier geradezu an. Egal ob die Sehnsucht nach Authentizität als Gegenbewegung oder als Paralleltrend zur Globalisierung angesehen wird, Terroir hat sich in den letzten Jahren zum Modewort entwickelt, um diese Bedürfnisstruktur zu beschreiben. Nicht unbedingt als Alternative zu bio oder biodyn, eher als zusätzliche Kategorie, die dem Ganzen energetisch noch eins oben draufsetzt. Was mit eher hochpreisigen Weinen begann, hat längst die Supermärkte erobert. „Authentisch“ und „echte Gefühle“ schreit es aus allen Regalen. Auch auf den Plastiktüten der Kellereiartikel. Neuerdings wird den Winzern eine „Terroirhefe“ angeboten, eine gezüchtete Hefe, die das Terroir des Weins optimal zur Geltung bringen soll.
Terroir, so wird das französische Wort meist übersetzt, ist eine geografische Einheit im Agrarsektor, eine Anbauregion oder eben auch ein Weinberg. Und ein Terroirwein ist ein Wein, der die typischen Eigenschaften dieses Terroirs geschmacklich widerspiegelt. Da sich ein Weinberg über Boden, Klima und Rebe definiert, steht immer wieder die Frage im Raum, welchen prozentualen Anteil die einzelnen Faktoren am Weingeschmack respektive Terroir haben. Durch unterschiedliches Wollen und Können hat der Einfluss des Winzers auf den Weingeschmack in den letzten Jahrzehnten immens zugenommen. Daher sehen es viele als sinnvoll an, die Definition von Terroirwein um den Faktor Mensch zu erweitern. Aber die Frage nach den Prozenten bleibt.
Terroirwein ist also ein Wein mit Herkunftsgeschmack, mit Bodengeschmack. Das klingt als Gegenpol zu einem Wein mit Kellergeschmack erst einmal gar nicht so schlecht. Es ist eine logische Definition. Aber es ist keine sinnvolle. Denn es gibt nur wenige Weine, die derart mit den Segnungen moderner Technik bedacht wurden, dass auch das letzte Herkunftsgeschmacksmolekül aus ihnen herausgeschönt und im Filter hängen geblieben wäre. Wie viel Bodengeschmack muss ein Wein haben, um ein Terroirwein zu sein?
Jahrelang haben viele Professoren mit Freilandversuchen und theoretischen Konstrukten bewiesen, dass Bodengeschmack sowieso nicht existiere und Terroir nur der Marketinggag einiger spinnerter Winzer sei. Der wissenschaftliche, das heißt mit im Universitätsbetrieb anerkannten Methoden abgeleitete und reproduzierbare Existenzbeweis von Terroirgeschmack ist noch ganz frisch. Das Team um Professor Ulrich Fischer an der Universität Kaiserslautern hat Trauben derselben Rebsorte, die auf gleichen Böden in unterschiedlichen Regionen reiften, im selben Keller mit identischen Methoden vinifiziert. Und siehe da, Bodengeschmack existiert auch wissenschaftlich. Das ist vor allem politisch wichtig, bringt das doch die hirnlosen Grundfesten des deutschen Weingesetzes ins Wanken. Aber aus der Tatsache, dass Bodengeschmack existiert, eine wissenschaftlich vertretbare Quantifizierung abzuleiten, ist unmöglich. Welcher Wein hat mehr Punkte auf der nach oben offenen Bodengeschmacksskala undist daher der bessere Terroirwein? Eine solche Fragestellung ist Unsinn. Die Definition, Terroirwein sei Wein mit Herkunftsgeschmack oder mit Bodengeschmack, macht ebenso wenig Sinn wie Biowein sei ein Wein, der biologisch erzeugt wurde. Was an einer Pflanze ist schon nicht biologisch?
Das Festkleben an solchen Definitionen gibt weniger Auskunft über den Charakter des Weins als über die Denkstrukturen der Menschen. Wer die Idee der Freiheit für sich selbst nicht
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