Terroir
richtig umzusetzen vermag, wird das auch bei seinen Projektionen in die Weinwelt nur ungern tun. Wer sich nur in einem axiomatischen Denkgebäude sicher fühlt, wird in vulgärscholastischer Manier Lexika und alte Autoritätspersonen nach einer Definition für Terroir befragen und wird ökologisches Handeln an der Einhaltung der Gut-und-böse-Regeln der Bio-Organisationen festmachen.
Derartiges Schwarz-Weiß-Denken ist geistige Onanie. Moralisch auf der guten Seite stehen, da bedankt sich zwar die Hypophyse und schüttet ein paar Glückshormone aus. Im Alltag kann man sich dafür allerdings herzlich wenig kaufen. Davon können die vielen Winzerinnen und Winzer, die mit großem Engagement daran arbeiten, einen mit ökologischer Verantwortung hergestellten, kulturbeseelten Terroirwein herzustellen, ein Lied singen. Ihnen wird man mit dieser Art von Kritik daher alles andere als gerecht.
Und auch die Alternativbewegungen selbst kann nur sinnvoll würdigen, wer sie auch aus einer anderen Perspektive betrachtet. War die Biobewegung der 70 er- und 80 er-Jahre nicht die damals richtige und wichtige Antithese zur Chemisierung der Landwirtschaft? Hat sie nicht wichtige Impulse zur Bewusstseinsentwicklung in die gesamte Gesellschaft ausgestrahlt? Natürlich war sie als direkte Gegenbewegung mit dem Verteufeln jeglicher Chemie und der Glorifizierung von Natur logischerweise noch den gleichen linearen Denkschemataverhaftet wie die Industrie selbst. Dieses Manko wurde ja von vielen in der Bewegung erkannt. Die Versuche, hier auszusteigen und in einem ganzheitlichen Ansatz auch kulturelle Dimensionen, Mythologie und Spiritualität einfließen zu lassen, führten allerdings – auch mangels Alternativen – für viele in die Falle der Anthroposophie und mit großen Schritten zurück ins symbolische Mittelalter. Zum Glück nicht für alle. Es gibt anthroposophisch wirtschaftende Bauernhöfe mit einem bewundernswerten sozialen Engagement in der Betreuung von Behinderten und viele fortschrittlich geführte Waldorfschulen und Kindergärten. Nicht überall werden die jungen Mädchen zum Beispiel gezwungen, Röcke anzuziehen, um einem antiquierten Frauenbild zu genügen. Auch viele Winzer nahmen und nehmen das Ganze gar nicht so ernst, wie es die Gurus gern hätten, und picken sich die für sie sinnvollen Aspekte aus der Welt der Anthroposophie heraus. Im Gegensatz zur offiziellen Lehre, „fünfundneunzig Prozent schwanger gibt es nicht“, scheinen in der Realität viele Präparate auch ohne einen hundertprozentigen geistigen Überbau zu funktionieren. Sowieso definieren sich fast alle Biodyn-Winzer als „in der Umstellungsphase“ begriffen und orientieren sich auf der Handlungsebene nicht nur an der Theorie, sondern am praktisch Machbaren. Wer ist schon in der Lage, allen benötigten Mist selbst zu produzieren? Wer kann schon alle Arbeiten im Weinberg mit Pferd oder Muli verrichten? Wer hat das Geld, so viele Mitarbeiter zu bezahlen, damit alle Arbeiten im Weinberg auch an den entsprechenden Blatt- oder Fruchttagen verrichtet werden können?
Bei der mangelnden Durchdringung der biologisch-dynamischen Winzerszene mit Steiner’schem Gedankengut steht sogar die Frage im Raum, ob diese Bewegung überhaupt eine anthroposophische ist oder nicht viel mehr ein Sammelbecken all derer, die spirituelle Elemente in ihr Privatleben und in ihre Berufswelt integrieren wollen.
Zum Beispiel die Familie Viret. Vater Alain ist ein begnadeter Rutengänger. Lage und Bauplan der neuen Kellerei basieren auf einer exakten Vermessung des Hügels oberhalb des Dorfes Saint-Maurice-sur-Eygues unweit von Châteauneuf-du-Pape. Riesige, drei bis sechs Tonnen schwere Quader aus Kalkfelsen aus einem nahe gelegenen Steinbruch wurden wie im Pyramidenbau um eine Quelle als Energiezentrum nach dem pythagoräischen Prinzip des ganzzahligen Vielfachen ohne Mörtel aufgeschichtet. Ausgerichtet nach dem Stand der Sonne bei der Geburt seines Sohns Philippe, entstand so eine archaische Kathedrale, die jeden Besucher in geheimisvollen Bann zieht. Noch in einer Entfernung von mehreren Hundert Metern von dem Gebäude finden sich große Stelen, die in einer Art von Erdakupunktur die kosmischen Kräfte der Region strukturieren. Das gesamte Dorf scheint geprägt von der wundersamen cosmoculture der Virets. Gespritzt werden die Reben ab und zu mit Schwefel, meist aber mit „informiertem Wasser“. Und bei einigen Parzellen, so erzählt Junior Philippe, können sie
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