Terror auf Stiles Island
Jenn.
»Gehst du eigentlich noch zu einem Seelenklempner?«
»Dr. St. Claire gab mir die Namen von zwei Leuten, einer in Chestnut Hill, der andere in Cambridge. Ich hab sie aber noch nicht angerufen. Es fällt mir schwer, zu einem neuen Seelenklempner zu gehen.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Meinst du, ich sollte es noch mal mit einer Therapie versuchen?«
»Alles, was dir dabei hilft, einen Weg in die Zukunft zu finden – und dir dann auch die Kraft gibt, diesen Weg zu gehen, kann nur positiv sein«, sagte Jesse.
»Und du wirst so lange warten?«
»Ich warte«, sagte Jesse.
»Und was passiert, wenn ich an einen Punkt komme, an dem in meiner Welt kein Platz für dich ist?«
»Dann werde ich ein neues Kapitel aufschlagen und nicht zurückblicken«, sagte Jesse.
»Und du wirst damit leben können?«
»Jenn, ich kann dir nicht sagen, ob ich am nächsten Tag okay wäre. Oder in sechs Monaten oder zwei Jahren oder was auch immer.«
»Aber du würdest mich nicht fallen lassen?«
»Nur wenn du mir sagst, dass für mich kein Platz mehr in deinem Leben ist.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, das je sagen zu können.«
»Dann stehen die Chancen ja gar nicht so schlecht«, sagte Jesse.
»Unsere letzte gemeinsame Nacht war sehr schön.«
»Ja«, sagte Jesse.
Sie waren still für eine Weile. Dann stand sie auf und Jesse breitete seine Arme aus. Jenn ließ sich in seine Arme fallen und er drückte sie fest an sich. Er fühlte, wie ein unerklärliches Glücksgefühl in ihm aufstieg. Es gab keine plausible Erklärung dafür, aber wenn er sie berührte, wusste er einfach, dass sie wie keine andere Frau war. Er hielt sie in seiner Umarmung und bemühte sich, nicht zu fest zu drücken. Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und weinte leise. Leise, dachte Jesse, aber nicht hoffnungslos.
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49
»Haben Sie ein Bankschließfach?«, fragte Macklin.
Der Mann trug einen Designer-Jogginganzug, der so aussah, als sei er nie von Schweißflecken verunstaltet worden. Seine Frau, ebenso schick in ein Tennisoutfit gekleidet, stand daneben und rührte sich nicht vom Fleck, da Crow ihr seinen Revolver unter die Kinnlade presste. Auf dem Boden befand sich eine Segeltuchtasche, in die Macklin das Bargeld und die Juwelen geworfen hatte, die er im Haus hatte auftreiben können.
»Ich …«
»Sollten Sie mich anlügen, wird das Hirn Ihrer Frau gleich an der Decke kleben«, sagte Macklin.
Sein Revolver, den er lässig in der Hand hielt, warentsichert und irgendwo auf die Bauchgegend des Mannes gerichtet.
»Ja, ich habe eins.«
Der Mann hatte silbergraue Haare, ein markantes Gesicht und war wohl irgendsowas wie ein Geschäftsführer gewesen, der mit einem Bein aber bereits im Ruhestand stand. Er bemühte sich offensichtlich, tapfer zu sein und nicht widerstandslos einzuknicken. Wenn man eine Knarre vor der Nase hat, kann man schon mal den Mutigen mimen, dachte Macklin, auch wenn’s ohne Knarre natürlich einfacher ist. Aber mit oder ohne: Du wirst trotzdem tun, was man dir sagt.
»Paradise Bank?«, fragte Macklin.
»Ja.«
»Stiles-Island-Filiale?«
»Ja.«
»Holen Sie den Schlüssel.«
Der Mann zögerte. Macklin hob den Revolver und hielt ihn einen Zentimeter vor das linke Auge des Mannes.
»Ich zähle bis drei. Danach wird Ihre Witwe den Schlüssel holen. Eins …«
»Er ist in der Schreibtischschublade«, sagte der Mann.
Er keuchte so schwer, als sei seine Kehle mit einer dicken Mehlschicht belegt.
»Ich komme mit«, sagte Macklin und ging mit ihm in die Halle und dann die Treppe hinauf.
»Was haben Sie denn mit uns vor?«, fragte die Frau durch ihre zusammengepressten Zähne. Es klang wie die unfreiwillige Parodie einer snobistischen Diktion, wie man sie eher mit dem alten Adel assoziiert.
»Nichts, was wir nicht tun müssen«, sagte Crow. »Haben Sie hier unten eine Toilette?«
»Ja.«
»Zeigen Sie sie mir«, sagte Crow und senkte den Revolver.
Sie gingen durch den Eingangsbereich Richtung Küche. Die Frau zeigte auf eine Tür, die sich neben der Küche unter der Treppe befand. Crow öffnete die Tür, die sich nach außen öffnete, und schaute hinein. Es war ein geräumiges Badezimmer mit Waschbecken und Schminkspiegel, aber keinem Fenster.
Macklin kam mit dem Mann die Treppe herunter. Er hielt den Schlüssel zum Banksafe in die Luft, damit Crow ihn sehen konnte.
Crow nickte und zeigte mit einer Kopfbewegung
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