Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Augen zu führen. »Nein. Dies ist der Schrecken dieses Giftes, welches zuerst die Stimme und dann den gesammten Leib lähmt. Es ist weder zu sehen noch zu schmecken. Es ist so unsichtbar wie der Tod selbst.«
    Crozier dachte kurz nach. »Ich werde Befehl geben, daß eine Woche lang niemand die Conserven anrührt. Das letzte ranzige Salzfleisch und der schale Zwieback müssen uns fürs erste genügen.«
    »Darob werden die Schiffsleute und Officiere nicht glücklich seyn. Die Suppen und das Gemüse in den Büchsen sind unsere einzigen warmen Mahlzeiten auf diesem beschwerlichen Marsche. Angesichts dieser weiteren Entbehrungen könnte vielleicht gar eine Meuterey ausbrechen.«
    Ein eisiges Lächeln huschte über Croziers Antlitz. Es war ein schauriger
Anblick. »Dann werde ich die Conserven nicht allen verbiethen«, fauchte er. »Der Officierssteward wird selbige auch weiterhin essen, und zwar die gleichen Büchsen, welche er James Fitzjames servirt hat. Gute Nacht, Dr. Goodsir.«
    Ich ging zurück ins Lazarettzelt und sah nach den schlafenden Kranken. Dann kroch ich mit meinem tragbaren Mahagoni-Schreibpult in meinen Schlafsack.
    Wenn meine Handschrift schwer zu lesen ist, so liegt es daran, daß ich zittere. Aber es ist nicht nur die Kälte, die mich zittern macht.
    Immer wenn ich einen der Männer oder Officiere zu kennen glaube, stelle ich meinen Irrthum fest. Selbst in einer Million Jahren wird es der medicinische Fortschritt nicht vermocht haben, die geheimen Abgründe der menschlichen Seele zu ergründen.
    Morgen werden wir noch vor der Dämmerung aufbrechen. Ich fürchte, eine Rast wie an den letzten zwey Tagen hier in der Comfort Cove wird es nicht mehr geben.

45
Blanky
    BREITE UNBEKANNT | LÄNGE UNBEKANNT
18. JUNI 1848
     
     
     
    A ls Thomas Blankys drittes Holzbein abbrach, wusste er, dass das Ende gekommen war. Sein erstes neues Bein war ein erstaunlicher Anblick gewesen. Mr. Honey, der tüchtige Zimmermann der Terror, hatte es aus einem einzigen Stück fester englischer Eiche gefertigt. Der Eislotse hatte es genossen, dieses Wunderwerk vorzuführen, und war wie ein gutmütiger Pirat damit auf dem Schiff herumgehumpelt. Als es dann aufs Eis hinausging, bekam Blanky unten an das künstliche Bein zusätzlich einen vollkommen geformten Holzfuß, der mit einem Steckverschluss befestigt wurde. An der Sohle des Fußes waren zahlreiche Stollen und Schrauben angebracht, die dem Eislotsen besseren Halt auf dem Eis verliehen als die gewöhnlichen genagelten Winterstiefel der Seeleute. So konnte der Einbeinige zwar nicht mit den anderen im Geschirr ziehen, aber er hatte auch keine Mühe, auf dem langen Marsch in südlicher und dann östlicher Richtung mit ihnen Schritt zu halten.
    Damit war es jetzt vorbei.
    Sein erstes Bein war neunzehn Tage nach dem Aufbruch vom Terror -Lager abgebrochen, nicht lange nachdem sie Pilkington und Le Vesconte begraben hatten.

    An diesem Tag saßen Blanky und Mr. Honey, der vom Schleppdienst entbunden worden war, in einer Pinasse auf einem Schlitten. Dieser wurde von zwanzig keuchenden Männern gezogen, während der Zimmermann für den Eislotsen aus dem Holz einer Spiere ein neues Bein samt Fuß schnitzte.
    Wenn er neben den schwitzenden, fluchenden Männern herhinkte, war sich Blanky nie sicher, ob er seinen Fuß tragen sollte oder nicht. Auf dem Seeeis war es keine Frage, etwa in den ersten Tagen, als sie den zugefrorenen Meeresarm südlich des Terror -Lagers überquerten, und später in der Robbenbucht und erneut in der breiten Bucht nördlich von LeVescontes Grab. Die Schrauben und Stollen wirkten wahre Wunder auf dem Eis. Doch der größte Teil ihres Marsches nach Süden und um das große Kap herum fand auf dem Land statt.
    Als der Schnee und das Eis auf dem Gestein zu tauen anfingen  – und es taute schnell in diesem Sommer, der so viel wärmer war als der verlorene Sommer des Jahres 1847 –, rutschte Blankys eiförmiger Holzfuß immer häufiger von glatten Felsen ab, verkantete sich in Eisspalten und knackte bei jeder ruckartigen Bewegung im Steckgelenk.
    Auf dem Eis lief Blanky auf beiden Zugstrecken neben den Schlittentrupps her, um den Maaten seine Verbundenheit zu bekunden. Wenn es ging, trug er selbst kleinere Gegenstände und schlüpfte auch manchmal anstelle eines erschöpften Schleppers ins Geschirr. Aber alle wussten, dass er nicht das volle Gewicht ziehen konnte.
    Nach der sechsten Woche, in der Comfort Cove, wo Kapitän Fitzjames so qualvoll gestorben war, trug

Weitere Kostenlose Bücher