Terror
war, als hätten wir nach zwölf Stunden qualvoller Plackerey rein gar nichts erreicht. Jene ersten sieben Tage, an welchen wir zusammen nur sechs Meilen zurücklegten, um den schmalen, vereisten Meeresarm südlich des Terror -Lagers zu überwinden, haben unserem Muthe und Willen fast den Todesstoß versetzt.
Am vierten Marschtage erlaubte endlich auch der Gefreite Heather, der bereits ein halbes Jahr vorher einen Theil seines Gehirns verloren hatte, daß sein Körper entschlief. Am Abend nahmen die anderen Seesoldaten an seinem flachen, hastig ausgehobenen Grabe mit einer Dudelsackweise von ihm Abschied.
Wenige Stunden später erlag der Zweyte Steuermann Henry Foster Collins seinen Leiden. Seit dem Angriff der wüthenden Bestie auf die Erebus , bei welchem er einen Arm und ein Auge verloren hatte, war er nicht mehr aus seiner Ohnmacht erwacht.
Auch andere Kranke wurden nun rasch dahingerafft, doch nach dem Tod des Leutnants Le Vesconte und des Gefreiten Pilkington gegen Ende der zweyten Woche schien uns eine Pause von dieser traurigen Aufeinanderfolge vergönnt. Ja, die Männer wiegten sich schon in dem Glauben, daß die ernstlich Kranken nun gestorben und nur noch die Starken übrig geblieben seyen.
Capitain Fitzjames’ plötzlicher Zusammenbruch jedoch hat uns daran erinnert, daß wir alle immer schwächer werden. Wahrhaft Starke gibt es
in unseren Reihen nicht mehr – mit Ausnahme vielleicht des Hünen Magnus Manson, welcher unerschütterlich dahinstapft und weder Gewicht noch Kraft einzubüßen scheint.
Zur Behandlung des unablässigen Vomitus verabreichte ich Capitain Fitzjames Asa foetida, ein Mittel zur Linderung von Krämpfen. Es half nur sehr wenig. Es war ihm nicht möglich, feste Nahrung oder Flüssigkeiten bei sich zu behalten. Zur Beruhigung des Magens gab ich ihm Kalkwasser, doch auch dieses bewirkte nichts.
Gegen seine Schluckbeschwerden verabfolgte ich ihm Blausternsyrupp, ein Heilkrautpulver in einer Tanninlösung, welches ein ausgezeichnetes Expectorans darstellt. Doch selbst dieses für gewöhnlich äußerst wirksame Mittel vermochte die Kehle des Sterbenden nicht zu befeuchten.
Als Capitain Fitzjames die Möglichkeit einbüßte, seine Arme und Beine zu gebrauchen, versuchte ich es mit peruanischem Cocawein, einer kräftigen Mischung aus Wein und Cocain, sowie mit einer Lösung aus Hirschhornpulver in Ammoniak und mit einer Kampfertinctur. Diese Mixturen sind meist schon bei der halben Dosis dessen, was ich dem Capitaine verabreichte, geeignet, eine Lähmung zum Stillstand zu bringen oder sie sogar zu heilen.
Aber in diesem Falle fruchteten sie nicht. Die Paralyse breitete sich weiter auf die Extremitäten des Capitains aus; doch noch lange nachdem er nicht mehr reden und deuten konnte, wurde der Unglückliche von Convulsionen geschüttelt und mußte sich übergeben.
Zumindest für die Schiffsmaaten war das Versagen seines Stimmapparats eine Erleichterung, weil sie ab diesem Zeitpuncte seine Schmerzensschreie nicht mehr zu ertragen hatten. Aber ich mußte den ganzen letzten Tag mit ansehen, wie sich sein Körper zusammenkrampfte und sein Mund zu stummen Schreien öffnete.
Heute morgen, am vierten und letzten Tage von Capitain Fitzjames’ Todesqualen, erreichte die Lähmung die respiratorischen Muskeln, und das Athmen fiel ihm zunehmend schwerer. Zusammen mit Capitain Crozier, der viele Stunden am Lager seines todtkranken Freundes verbrachte, hoben Lloyd und ich Fitzjames immer wieder in eine sitzende Haltung, hielten
ihn aufrecht stehend fest oder gingen gar mit dem Gelähmten im Zelte herum, indem wir seine steifen, in Strümpfen steckenden Füße über den eiskalten Geröllboden schoben, in dem vergeblichen Bemühen, seine versagende Lunge zu unterstützen.
In meiner Verzweiflung flößte ich ihm Lobelientinctur ein, eine whiskeyfarbene Lösung aus indischem Taback, welche fast aus reinem Nicotin besteht. Hierfür mußte ich mit bloßen Fingern auf seine Speiseröhre drücken, die keine peristaltischen Bewegungen mehr auszuführen vermochte. Es war, als wollte ich ein sterbendes Vogeljunges füttern. Die Lobelientinctur ist das wirksamste Athmungsstimulans in meiner Apotheke, auf das auch Dr. Peddie geschworen hat. In Weinlaune ließ er sich manchmal sogar zu der blasphemischen Bemerkung hinreißen, daß Jesus bei Verabreichung dieses Mittels einen Tag früher auferstanden wäre.
Es half nicht im geringsten.
Freilich darf ich nicht vergessen, daß ich kein Medicus, sondern
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