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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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eigentlich nur Chirurgus bin. Ich wurde als Anatom ausgebildet, und meine Kenntnisse entstammen diesem Felde. Ein Medicus verordnet Heilmittel, ein Chirurgus sägt und näht. Dennoch thue ich natürlich mein Bestes mit den Vorräthen, die mir meine verstorbenen Collegen hinterlassen haben.
    Das Schrecklichste an Capitain Fitzjames’ letzten Stunden war, daß er bis zum Ende bei vollem Bewußtseyn war und alles mit klarem Verstande erlitt: Erbrechen und Krämpfe, den Verlust seiner Stimme und seines Schluckvermögens, die schleichend voranschreitende Lähmung und die letzten Stunden des Lungenversagens. Ich konnte die Angst und das Entsetzen in seinen Augen sehen. Sein Geist war vollkommen wach, während um ihn herum sein Körper abstarb. Völlig hilflos mußte er die Höllenqualen über sich ergehen lassen und konnte mich nur flehend anschauen. Doch auch ich vermochte nichts für ihn zu thun.
    Bisweilen erfaßte mich der Wunsch, ihm eine tödtliche Cocadosis zu verabreichen, um seinen Leiden ein Ende zu setzen, aber mein hippocratischer Eid und mein christlicher Glaube hinderten mich daran. So konnte ich nur hin und wieder von den anderen unbemerkt vor das Zelt treten und stille Thränen vergießen.

    Capitain Fitzjames starb am heutigen Dienstag, den 6. Junius, im Jahr unseres Herrn 1848, exact acht Minuten nach drey Uhr Nachmittag.
    Sein flaches Grab war bereits ausgehoben worden. Auch die Steine zum Bedecken seines Leichnams waren schon gesammelt und aufgeschichtet. Zur Todtenfeier erschienen alle Männer, die nur irgend zu stehen und sich anzukleiden vermochten. Viele derer, welche in den letzten drey Jahren unter Capitain Fitzjames gedient hatten, ließen ihrem Kummer freien Lauf. Obgleich es heute warm war – zwischen drey und fünf Grad über null – ließ ein kalter Wind aus dem Nordwesten viele Thränen an Bärte und Wangen gefrieren.
    Die wenigen noch lebenden Seesoldaten unserer Expedition feuerten eine Salve ab.
    Über dem Hügel hinter dem Grabe erhob sich ein Schneehuhn und flog hinaus aufs Packeis.
    Die Männer gaben ein klagendes Ächzen von sich. Doch dieser Wehelaut galt nicht dem Capitain Fitzjames, sondern dem Verluste des Schneehuhns für den Abendschmaus. Als die Seesoldaten ihre Büchsen nachgeladen hatten, war der Vogel schon fünfzig Faden entfernt und für ihre schwachen Schießkünste längst außer Reichweite.
    Vor einer halben Stunde warf Capitain Crozier einen Blick ins Lazarettzelt und winkte mich zu sich hinaus.
    Ohne Umschweife kam er zur Sache. »Ist Capitain Fitzjames an Scorbut gestorben?«
    Ich bekannte mich zu der Auffassung, daß er einem tödtlicheren Leiden erlegen sey.
    »Capitain Fitzjames war überzeugt, daß er von dem Steward vergiftet wurde, welcher ihn seit Hoars Tod bedient hat«, flüsterte der Capitain. »Ist das möglich?«
    »Bridgens?«, entfuhr es mir. Ich war zutiefst bestürzt, denn ich hatte den gelehrten alten Aufwärter sehr ins Herz geschlossen.
    Crozier schüttelte das Haupt. »In den letzten zwey Wochen wurden die Officiere der Erebus von Richard Aylmore bedient. Kann es sich um Gift gehandelt haben, Dr. Goodsir?«

    Ich zögerte. Ein Ja aus meinem Munde hätte gewiß bedeutet, daß Aylmore bei Sonnenaufgang hingerichtet wird. Der Officierssteward hat im Januar ob seiner unbedachten Mitwirkung am Großen Venezianischen Carneval fünfzig Peitschenhiebe erhalten. Des weiteren ist Aylmore ein Freund und enger Vertrauter des verschlagenen Kalfaterersmaats Hickey. Alle wissen, daß in Aylmores Brust eine nachtragende Krämerseele wohnt.
    »Es ist möglich, daß es Gift war«, lautete meine Antwort, »aber nicht nothwendig ein wissentlich verabreichtes.«
    »Was soll das heißen?« Der letzte Capitain unserer Expedition sah so müde aus, daß seine weiße Haut im Schein der Sterne förmlich von innen heraus zu leuchten schien.
    »Die Officiere haben stets die größten Portionen von den noch verbliebenen Goldner-Conserven verzehrt. Manchmal befindet sich in verdorbenen Lebensmitteln ein unbekanntes Gift, welches eine tödtliche Lähmung verursacht. Seine Wirkungsweise vermag niemand zu erklären. Vielleicht handelt es sich um ein microscopisch kleines Thierchen, welches wir mit unseren Linsen nicht zu erkennen vermögen.«
    Crozier verfiel wieder in einen wispernden Ton. »Hätten wir es nicht gerochen, wenn die conservirten Lebensmittel verdorben wären?«
    Ich wagte es, den Capitain an seinem Mantelärmel zu fassen, um ihm die Bedeutung meiner Worte vor

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