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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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vorgehen – bis auf das gierige Quieken, mit dem die ausgehungerten Nager übereinander herfallen, wenn sie erst einmal Blut geleckt haben.
    Nein, das Kratzen und Klopfen unten in der Last hat eine andere Ursache.
    Crozier verzichtet darauf, den Gefreiten Wilkes an eine weitere schlichte Tatsache zu erinnern: Im Laderaum unter der Wasserlinie aus gefrorenem Seeeis wäre es normalerweise völlig sicher, wenn auch furchtbar kalt. Aber der Druck des Eises hat das Heck der Terror mehr als ein Dutzend Fuß höher geschoben, als es liegen müsste. Der Rumpf ist zwar noch eingeschlossen, doch nur von mehreren Hundert übereinandergetürmten Tonnen zerklüftetem Eis und zusätzlichen Tonnen Schnee, die die Männer an den Längsseiten des Schiffs bis wenige Fuß vor dem Schanzkleid aufgeschichtet haben, um im Winter besser vor der Kälte geschützt zu sein.
    Irgendetwas, so argwöhnt Francis Crozier, hat sich durch die Tonnen von Schnee gegraben und durch die steinharten Eisplatten
gebohrt, um zum Rumpf des Schiffs zu gelangen. Irgendwie hat dieses Wesen geahnt, welche Teile des Rumpfinneren aus Eisen bestehen, wie zum Beispiel die Wassertanks, und hat einen der wenigen hohlen äußeren Staubereiche gefunden – die Totenkammer  –, die direkt in das Schiff führen. Und jetzt scharrt und hämmert es gegen die Wände, um ins Innere zu gelangen.
    Crozier weiß, dass es auf der ganzen Welt nur ein Wesen von solch übernatürlicher Kraft, tödlicher Beharrlichkeit und heimtückischer Intelligenz gibt. Das Ungeheuer aus dem Eis versucht, von unten ins Schiff einzudringen.
    Ohne ein weiteres Wort an den Gefreiten Wilkes begibt sich Kapitän Crozier unter Deck, um nach dem Rechten zu sehen.

2
Franklin
    51°29′ NÖRDLICHE BREITE | 0°0′ WESTLICHE LÄNGE
LONDON, MAI 1845
     
     
     
    E r war und blieb für immer der Mann, der seine Stiefel gegessen hatte.
    Vier Tage vor der Abreise erkrankte Sir John Franklin an der Grippe, die schon seit einiger Zeit umging. Er war sicher, dass er sich nicht bei einem der einfachen Seemänner und Stauer angesteckt hatte, die am Londoner Hafen die Schiffe beluden, und auch nicht bei einem der hundertdreiunddreißig Matrosen und Offiziere seiner Mannschaft – die waren alle gesund wie Ackergäule. Nein, er hatte sie sich von einem dieser schwächlichen Stutzer aus Lady Janes Gesellschaftssalons geholt.
    Der Mann, der seine Stiefel gegessen hatte.
    Bei den Gattinnen arktischer Helden war es Brauch, eine Fahne zu nähen, die am nördlichsten Punkt der Reise oder in diesem Fall nach Vollendung der Nordwestpassage gehisst werden sollte. Franklins Frau Jane saß gerade über ihren letzten Stichen an dem seidenen Union Jack, als er nach Hause kam. Sir John trat in die Wohnstube und sank zusammen, kaum dass er neben ihr auf dem Rosshaarsofa Platz genommen hatte. Später konnte er sich nicht erinnern, die Stiefel ausgezogen zu haben. Jemand musste es für ihn getan haben – entweder Jane oder eine Dienstmagd.
Bald lag er halb dösend und mit schmerzendem Kopf da, sein Magen krampfte sich stärker zusammen als je auf See, und seine Haut brannte vom Fieber. Ununterbrochen plappernd erzählte ihm Lady Jane von ihren vielen Verpflichtungen des heutigen Tages. Sir John bemühte sich zuzuhören, während ihn Fieberwellen davontrugen.
    Er war der Mann, der seine Stiefel gegessen hatte, und zwar schon seit dreiundzwanzig Jahren, seit seiner Rückkehr von der ersten, gescheiterten Überlandexpedition durch Nordkanada mit dem Ziel, die Nordwestpassage zu finden. Er erinnerte sich noch gut an das abschätzige Lachen und die Witze, als er 1822 wieder in England eintraf. Franklin hatte auf dieser Reise tatsächlich seine Stiefel gegessen – und noch weit Schlimmeres: zum Beispiel Tripe de Roche, einen widerlichen Brei aus kuttelartigen Flechten, die man von Felsen kratzen musste. Vom Hunger geschwächt und verwirrt, hatte Franklin nach zwei Jahren seine Leute in drei Gruppen aufgeteilt, die sich getrennt durchschlagen und um ihr Überleben kämpfen sollten. In ihrer Not hatten er und die bei ihm verbliebenen Männer das Obermaterial ihrer Schuhe und Stiefel gekocht und verspeist. Ganze Tage hatte Sir John – damals einfach noch John, zum Ritter wurde er erst für sein Versagen bei einer späteren, völlig missratenen Expedition über Land und See geschlagen – im Jahr 1821 nichts anderes gekaut als Fetzen ungegerbtes Leder. Seine Männer hatten ihre Schlafdecken aus Büffelfell gegessen. Und einige

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