Terrorist
dramatischen Bekenntnisse oder die Dinge, die zwei Widersacher einander entgegenschleudern, woraufhin die Schauspieler einander in Nahaufnahme fassungslos anstarren, mit Augen, die glänzen vor Schmerz oder Hass, denn im endlosen Gitterwerk ihrer Beziehungen balanciert unentwegt jemand über einen schmalen Steg: «Kendalls Wohlergehen ist mir eigentlich völlig egal …»
– «Du wusstest doch bestimmt, das Ryan nie Kinder haben wollte; er hatte panische Angst vor dem Familienfluch …»
– «Ich komme an mein eigenes Leben nicht mehr dran. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und was ich denke …» – «Ich seh’s dir an den Augen an; ein Sieger wird eben von allen geliebt.» – «Wenn du dir etwas wert bist, musst du diesen Mann verlassen. Überlass ihn deiner Mutter, wenn sie ihn haben will – die beiden haben einander verdient …» – «Wirklich und wahrhaftig, ich hasse mich zutiefst…» – «Ich irre durch eine Wüste, so fühle ich mich …» – «Ich habe noch nie im Leben für Sex gezahlt und werde jetzt nicht damit anfangen.» Dann eine weniger aggressive, furchtsame Stimme, die direkt den Zuschauer anspricht: «Die Kurven einer Frau können zu Wundheit führen. Die Schöpfer von Monostat verstehen dieses intime Problem und stellen darum ein neues, beispielloses Produkt vor.»
Die jungen Schauspielerinnen haben eine neue Art zu sprechen, so kommt es Beth vor: Sie zurren die Wörter am Ende ihrer Satze zusammen und schlürfen sie wieder ein, als setzten sie zum Gurgeln an; und sie wirken natürlicher, oder zumindest weniger unnatürlich und plastikpuppenartig, als die jungen Männer, die mehr wie bloße Schauspieler aussehen als die Frauen – mehr wie Ken, Barbies Gegenstück, als die Mädchen Barbie gleichen. Wenn auf dem Bildschirm drei Personen agieren, sind es meist zwei Frauen, die sich um einen Mann-Jungen kabbeln, der mit starrer Kinnlade verlegen herumsteht; und wenn es vier sind, ist einer davon ein älterer Mann mit wundervoll ergrauendem Haar, wie der «Vorher»-Kopf in den Werbespots für dieses Tönungsshampoo, und die atmosphärischen Gegenströmungen verdichten sich, bis die leicht außerirdische Klinglinglingmusik die Akteure vorübergehend rettet, indem sie signalisiert, dass die Zeit für eine weitere Werbepause voller «Botschaften» gekommen ist. Beth ist fasziniert von der Vorstellung, dass so das Leben ist, so voller Rivalität bis hin zum Mord, zu welchem Sex, Eifersucht und Geldgier sie hindrängen, diese angeblich ganz normalen Leute aus dem typisch pennsylvanischen Ort Pine Valley. Beth stammt aus Pennsylvania, und so einen Ort hat sie nie kennen gelernt. Wie kommt es nur, dass ihr so viel vom Leben entgangen ist? «Ich komme an mein eigenes Leben nicht mehr dran», hat eine Figur in All My Children einmal gesagt, Erin vielleicht. Oder Krystal. Wie ein Pfeil ist diese Äußerung in Beth gefahren. Liebevolle Eltern; eine glückliche, wenn auch nicht ganz den Konventionen entsprechende Ehe; ein wunderbares Kind; eine intellektuell interessante, körperlich wenig anstrengende Tätigkeit, Bücher entleihen und im Internet recherchieren: Die ganze Welt hat sich verschworen, Beth weich und übergewichtig werden zu lassen, isoliert gegen die Leidenschaften und Gefahren, die dort hervorbrechen, wo sich Menschen wirklich aneinander reiben. «Ryan, ich möchte dir so gern helfen, dass ich wirklich alles tun würde; selbst deine Mutter würde ich vergiften, wenn du mich darum bitten würdest.» Niemand sagt so etwas zu Beth; das Extremste, das ihr je widerfahren ist, war die Weigerung ihrer Eltern, ihrer standesamtlichen Trauung mit einem Juden beizuwohnen.
Die Jungen Männer, denen diese glühenden Gelübde gelten, sagen meistens wenig dazu. Wo die Konversation versiegt, füllt ein unheimliches, vollmundiges Schweigen die Lücke. Oft befürchtet Beth, sie hätten ihren Text vergessen, doch dann ringen sie sich die nächste Bemerkung ab, nach so langer Pause. In weit höherem Maße als die Abendprogramme – die Polizeiserien, Sitcoms, die aktuellen Sendungen mit ihren vier flachsenden Hosts am langen Tisch (ein Mann und eine Frau als Zuständige für die Nachrichten, ein forscher Sportreporter und, als Zielscheibe ihrer Scherze und gutmütigen Nörgeleien, der ein wenig blöde Wettermensch) – spielen sich die Seifenopern, die am Tag laufen, vor dem Hintergrund intensiven, schwelenden Schweigens ab, das all die erotischen Offenbarungen, verkrampften Beichten, falschen
Weitere Kostenlose Bücher