Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
wieder musste ich auf ihren sinnlichen Mund blicken, in ihre abgründigen, tiefdunklen Augen, die irgendwo aus der Tiefe des Universums zu glimmen schienen wie zwei sterbende Planeten«.
»Sollte Ihre Bank in Paddington einmal nicht mehr liquide sein«, frotzelte Holmes, »könnten Sie sich als Dichter einen Namen machen! «
Mr. Midwinter verzog ärgerlich den Mund. »Ich wusste, Sie würden mir nicht glauben ...«
»Nein, nein. Fahren Sie nur fort«, ermutigte ich ihn. »Sie haben uns noch nicht den Namen der Lady verraten«, versuchte ich die Peinlichkeit zu überbrücken.
»O, natürlich. Wie dumm von mir! Meine Freunde nennen mich Nona. « Plötzlich wurde Holmes sehr ernst und kniff die Augen zusammen. Seine gebogene Nase schnüffelte, wie bei einem Jagdhund, der üble Beute riecht.
»Ohne Ihnen nahe treten zu wollen«, unterbrach Holmes wieder. »Aber so seltsam kommt mir Ihre Geschichte bis jetzt gar nicht vor, wenn man davon absieht, dass Ihre Begleiterin angeblich tot war. Ein Urlaubsflirt, wie viele. Und eine junge Dame, die Ihnen imponieren wollte, indem sie sagte, sie sei tot. Kennen Sie wenigstens ihren Nachnamen? «
» Sie heisst wie ihr Bruder, Mr. Holmes. Er heisst Trevor. Victor Trevor aus Suffolk!«
Holmes sprang mit solch einer Gewalt von seinem Sofa auf, wie ich es zuvor noch nicht erlebt hatte. Sein ohnehin schon bleiches Gesicht wurde aschfahl, und um ein Haar wäre ihm die Zigarette aus dem Mund gefallen. Er wankte leicht, als er zum Kamin ging.
»Guter Gott! « sagte er. Und ich: »Was ist mit Ihnen, mein Freund? Sie sehen aus, als müsste ich standesgemäß eingreifen«.
»Schon gut, Watson, schon gut. Schnell einen Whisky, und nicht zu knauserig eingeschenkt. Denn ich befürchte, unser ehrenwerter Besucher spricht mit jedem Wort die Wahrheit. Der Himmel sei mir gnädig !«
»Ihnen, nicht - uns? « fragte ich zögernd.
»Mir, Watson. Mir. Unser Gast befand sich tatsächlich in Begleitung einer Toten. Mir ist, als stehe sie jetzt hinter uns“ Mr. Midwinter sah uns verblüfft an, fuhr aber fort:
»Das Unfassbare geschah, Gentlemen, denn ich verbrachte mit Miss Trevor eine Liebesnacht. Und keinen Augenblick lang dachte ich dabei an Susan, die mir täglich Liebesbriefe ins Hotel schickte. Bitte fragen Sie nicht nach den Einzelheiten dieser Nacht, die so schön und entsetzlich zugleich waren«. Holmes winkte theatralisch ab, mit der Geste eines Dirigenten, der einen Moll-Akkord begleitet. Nun war es an mir, einen Whisky zu trinken und mir eine Pfeife anzuzünden. Viermal fiel mir dabei das Streichholz aus der Hand.
»Nach dieser Nacht wusste ich alles über die Liebe - und alles über den Tod. Ich blickte in wollüstige Paradiese und finstere Höllen. Nur eines lassen Sie mich Ihnen noch verraten: Nonas Körper war zu keiner Sekunde warm, und ich glaubte, auf unserem Liebeslager aus Samt, Moschus und Weihrauch den pestgetränkten Hauch des geöffneten Grabes zu spüren. Und das allerschlimmste war: es hat mir gefallen! «
»Das Ganze hört sich sehr arrangiert an«, meinte Holmes, endlich wieder sachlich.
»So war es auch. Als wir in mein Hotelzimmer gingen, das sich in unmittelbarer Nähe des Strandes befand, in völliger Einsamkeit und hoch auf den Dünen, stellte ich fest, dass mein Zimmer in ein orientalisches chambre separeè` verwandelt worden war. Erlesene Speisen und süßliche Weine umrahmten das Bett, und schwarze, parfümierte Kerzen erhellten den Raum.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, lag Nona stocksteif neben mir. Ihr nackter, weisser Körper schien aus Marmor zu sein, der mit regennassen Spinnweben im Herbstnebel überzogen war. Ich schrie sie an: Nona! Nona! Was ist mit dir? Wach auf!!
Da erwachte sie, träge und matt, wie aus einem Opiumrausch«.
Holmes zuckte zusammen. Unser Klient hatte genau den Zustand beschrieben, in dem er selbst häufig war.
»Als sie sich langsam anzog, bewegte sie sich wie eine Marionette. Ich wollte wissen, ob sie krank sei, doch sie schüttelte nur müde den Kopf«.
„Ich bin tot, antwortete sie. Ich bin tot.“
»Du bist vollkommen verrückt! «
»Nein, glaub es mir, mein Schatz. Es gibt nur wenige von uns, Gott sei Dank. Und ich kann dir auch nicht sagen, warum das so ist; ich weiss es selbst nicht. Es gibt böse Geheimnisse auf dieser Welt.«.
Unwillkürlich tastete ich meinen Hals ab. Da lachte sie:
»Nein, nein. So geht das nicht. Ich bin kein Vampir. Aber ich bin tot, und somit vielleicht schlimmer als ein Vampir.
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