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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Peters
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So möchte ich dich bitten, auch in Hinblick auf deine Ehe, dass wir uns nie wieder sehen werden. Du hast wenigstens eine Frau, die auf dich wartet. Mir bleibt nur das Grab, dem ich ab und zu entsteige, um der ewigen Einsamkeit und Kälte zu entgehen. Ab und zu verliebt sich ein Mann oder eine Frau  in mich, doch ich bringe ihnen nur Unglück. Sie werden allmählich gefühlskalt, kapseln sich völlig von der Außenwelt ab, um dann irgendwann im Wahnsinn zu enden. Wenn sie Glück haben, begehen sie Selbstmord. Wenn nicht, werden sie wie ich. Denn sie haben das Unfassbare kennen gelernt. Jenseits der Realität und jenseits des Traums. Sie vegetieren in einem seltsamen Zwischenreich und sind nirgends zuhause. Ich bitte dich, Ozias, verlass mich! Und trotzdem liebe ich dich. Wir können uns nie wieder sehen. Es gibt keine Sicherheit auf dieser Welt«.
    »Wenn du so fest daran glaubst, « antwortete ich sarkastisch, »wie kannst du da so sicher sein? Solche Sätze plappern nur Menschen ohne Willen und Macht nach; das ist eine Sklavenmoral, die jeder zweite auf sein Panier schreibt. Aber du, Nona, du und ich, wir sind mächtig, weil wir wissen, was genau wahre Liebe ist. Nicht das, was der Plebs sagt. Und noch mehr: wir wissen, was der Tod ist! Du hast es ja eben selber gesagt: jenseits der Realität und jenseits des Traums liegt das Unfassbare! «
    Sie zuckte resignierend mit den Schultern. Dann sagte sie matt:
    »Eigentlich ist es doch schade, dass wir keine Vampire sind. Vampir sein bedeutet, dem Gegenüber ein Mögliches an Unsterblichkeit zu schenken« So kam sie in jeder Nacht meines Urlaubes zu mir. Am Abend vor meiner Heimreise nach London wollte ich endlich Gewissheit haben. Zwei Stunden vor unserem letzten Zusammensein, in jenem abgelegenen Hotel an der Küste, ging ich zum Friedhof. Ich zweifelte an meinem Verstand. Der Friedhof befand sich in einem kleinen Wald hinter den Dünen. Es war so finster, dass ich des Öfteren hinfiel - beinahe wäre ich in einem Morast versunken, der den Friedhof wie ein Burggraben umgab. Der Küstenwind pfiff mir um die Ohren, und ich zog meinen Schal fest um den Kopf. So hastete ich wie ein Ghoul zwischen vermoderten Gräbern und umgefallenen Kreuzen, um das angebliche Grab meiner Geliebten zu finden. Jedes Mal, wenn das Friedhofstor scheppernd  zufiel, zuckte ich zusammen. Ein mit Moos bewachsener Marmorengel schien jeden meiner Schritte zu verfolgen. Ich glaubte sogar einmal, er hätte seine Flügel bewegt, um auf mich zuzufliegen, damit er mich ins Reich der Toten  tragen konnte.
    Da sah ich ihn: den Grabstein von Lady Trevor! Geboren 1827, gestorben 1854, also vor fast über dreißig Jahren. Schnecken krochen über die Inschrift, und ich hastete zurück, als sich die Erde vor mir  bewegte. So, als seien Armeen von Wühlmäusen am Werk. Mir zitterten die Knie, aber eine morbide Lust hielt mich davon ab, ins Hotel zurück zu fliehen. Ich weidete mich förmlich in meinem eigenen Grauen, ein Gefühl, das beinahe noch intensiver war als die Liebesnächte mit Nona. Meine Lippen zuckten nach oben, meine Nase kräuselte sich wie die eines Wolfes. Da sah ich ihre liebliche, weisse Hand, wie sie sich im Grabstein festkrallte und ein paar Schnecken zerquetschte. Nona kroch aus dem Grab wie aus dem Mutterschoß: feucht und verschmutzt. Sie war gar nicht sonderlich erstaunt, mich zu sehen. Lächelnd sagte sie:
    »Nun, glaubst du mir jetzt, mon petit prince carneval? «, wobei sie sich Erde, Lilien und feuchtes Laub vom Cape strich, an dem noch ein paar Schnecken hingen. Ich starrte sie mit der Wollust eines Vampirs an. »Nona, bis zum Hotel halte ich es nicht mehr aus.« Ich riss ihr das Cape von den bleichen, süßen Schultern und wir warfen uns aufs Grab, das  köstlicher war als jedes Liebeslager. Sie lachte den abnehmenden Mond an und biss in mein Ohr. Sie sagte:
    »Ich will dir Dinge zeigen, die du noch niemals sahst; und ich will deine Seele aus deinem Körper herausrinnen seh'n ...«
    Ich biss in die Graberde, als sei es die köstlichste Speise ...« Ozias Midwinter unterbrach seinen fantastischen Bericht, um sich erneut einen Sherry zu genehmigen. Das Kaminfeuer war fast zur Gänze heruntergebrannt, und mich fröstelte, obwohl es sehr warm im Zimmer war. Unsere Schatten sahen wie die von riesigen Fledermäusen aus. Der Regen hatte zugenommen und prasselte gegen die Scheibe. Wie kann Holmes so etwas Verrücktes glauben? dachte ich. Er, der zynische Analytiker, der jeden Humbug

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