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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Peters
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Sucker war das Ende ein Polizeiwagen, der am nächsten Morgen vorfuhr. Der Mann war um die Dreißig, groß, schlank und hatte Lachfalten um die Augen.
    Ralf war gerade dabei, sich zu überlegen, wohin er Bettina einladen sollte, als es bei ihr klingelte. Das erste Geräusch seit langem aus ihrer Wohnung. Dann harte Stiefel über den Flur: Polizistenstiefel! Ralf hatte ein Baumwollhemd an, unter dem es mächtig schlug.
    Bettina hatte die Tür geöffnet. Er hörte ein fast schon hysterisches Weinen aus ihrer Wohnung. Ralf konnte nicht mehr denken, er fror, wobei ihm ein Unsichtbarer einen schwarzen Lappen ins Gehirn schob.
    Er ging wankend auf den Flur, um besser hören zu können. Er erwischte sich dabei, an ihrem Türknauf herumzudrehen, wie früher an seinem Radio, um das Weinen leiser zu stellen. Das Weinen wurde immer lauter.
    Ralf Sucker war wieder der Sechsjährige, der seinen Vater beim Vögeln mit einer anderen erwischt hatte, und dem beim Ausplaudern vor Mutter eine Ladung Klowasser bevorstand.
    „Ralf, du bist nicht in Ordnung! Du bist ein mieser Lümmel!“
    Aber er war nicht mies. Das hatte sie doch gesagt! Oder nicht?! Er war doch ihr zukünftiger Zauberlehrling. Und die Inquisition wollte sie trennen. Und die Polizei war die Inquisition!
    Als der Beamte aus Bettinas Wohnung kam, mit aschfahlem Gesicht, wurde ihm eben dieses Gesicht mit einem Vorschlaghammer eingeschlagen. Alles ging sehr schnell und sehr leise zu. Der Zauberlehrling schleppte den noch zuckenden Körper in den Keller hinunter und steckte ihn in den alten Heizofen, der seit Oktober brannte. Der Polizist passte nicht ganz hinein, es dauerte eine halbe Stunde, bis die obere Körperhälfte weich genug war, um die noch zuckenden Beine hinterher zuschieben.
    Und Ralf drehte den Spieß um: Dieses Mal musste die Inquisition brennen, und Tausende unschuldiger Frauen wurden gerächt! Wie würde sich seine kleine Hexe freuen! Niemand würde sie ihm mehr wegnehmen. Er würde sie gleich trösten und ihr die gute Nachricht mitteilen.
    Vorher wischte er noch das viele Blut von Flur und Treppe weg.
    Und die vielen Zähne.
    Er klingelte bei Bettina und ärgerte sich gleichzeitig, nicht die schmutzige Kleidung gewechselt zu haben. Sie roch noch etwas nach Kohle, Blut und verbranntem Fleisch.
    Sie öffnete, und das schwarze Make up war unter ihren schönen Augen verlaufen und erinnerte Ralf an die verbrannten Leichenfinger des Inquisitors. Sie warf sich quer über die kostbare Couch und schluchzte weiter. Dabei stammelte sie etwas und kam seiner guten Nachricht zuvor.
    „Es ist alles so schlimm“, schluchzte sie. „Es ist alles so schlimm ... Aber wenn Sie schon einmal hier sind ... Ich will Sie damit nicht belasten. Aber es kam so plötzlich – ihr Tod. Ich meine den Tod unserer Mutter.“
    Ralf glaubte, in der falschen Wohnung zu sein. Wer war „unsere“?
    „Ich weiß nicht, ob Sie den Polizisten gerade gesehen haben. Er ist mein Bruder. Das einzige, was ich noch habe. Mein alles!“
    Ralf starrte sie nur an.
    „Wissen Sie“, schluchzte sie weiter, „diese Bücher hier, das Medaillon um meinen Hals, das sind alles Geschenke meiner Mutter. Ich kann eigentlich gar nichts damit anfangen ... Aber sie erinnern mich wenigstens an sie ...“
     
    Irgendetwas veranlasste Ralf, aus dem Fenster zu sehen. Seit Monaten hatte er es vermieden, ihn zu betreten: den Schrottplatz.
    Doch insgeheim wusste er, was er sehen würde. Eine Möglichkeit wäre, dass der Schrottplatz sich wieder in einen riesigen Totenschädel verwandelt hatte, der womöglich dem seinen verdammt ähnlich sah. Das wäre schlimm.
    Noch schlimmer wäre es, in der untergehenden Abendsonne Hunderte von alten, übereinander gestapelter Särge zu sehen. Und auf dem Sarg ganz oben stünden die Initialen »emil sucker«. Und der Sargdeckel würde sich langsam öffnen und Pappi, den er vor drei Jahren begraben hatte, sich ebenso langsam erheben, Ralf zuwinken und rufen: „Du bist schon in Ordnung, Sohnemann! Vor allem, wenn du gleich zu mir kommst!“ Und dabei würde Vater auf den Sarg neben sich zeigen und krächzen: „Komm schon! Wir werden es den Nutten hier besorgen!“ und dabei würde er die Zigarre namens »Schwarze Weisheit« in seinem zahnlosen Mund rauchen.
    Das wäre echt schlimm. Aber Ralf sah noch Schlimmeres als das: Er sah die rote Abendsonne, ein Dutzend verbeulter Autos, Schrott, Pappkartons, aus denen Ratten krochen, Konservendosen, in denen Spinnen hausten.
    Und hinter sich

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