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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Peters
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sofort durchschaut. Nicht er war für Mr. Midwinter zuständig, sondern ein gewisser Dr. Freud, der in Wien die abenteuerlichsten Thesen über die menschliche Seele von sich gab und sogar seit zwei Jahren eine Professur innehatte. Ungeheuerlich! Doch Holmes stopfte sich die Lesepfeife, und ein paar Tabakkrümel fielen auf seine persischen Hausschuhe. Ich nahm mir noch eine parfümierte Zigarette aus der fast leeren Tabatiere und legte meinem Freund die Hand auf die Schulter. Für ein paar Sekunden erwiderte er die Geste. Die verkohlten Holzscheite gaben knackende, explodierende Laute von sich. Irgendwie kam ich mir vollkommen überflüssig vor. Endlich unterbrach Holmes das Schweigen:
    »Ich nehme an, Miss Trevor hat Sie auch in London heimgesucht? «
    »So ist es. Aber auf eine schreckliche Art und Weise, und ich befürchte, meine Frau wird sich von mir trennen. Die ersten Tage zuhause überlebte ich mehr tot als lebendig, und Susan schüttelte den Kopf, als sie in mein ausgemergeltes Gesicht blickte. Wenigstens war sie wieder genesen. Und da sie sozial sehr engagiert ist, hat sie in Londoner East-End so manche Verpflichtung wahrzunehmen. Von Nona hörte ich nichts mehr, was mich glücklich und unglücklich zugleich machte. Inzwischen glaubte ich, ein Fiebertraum habe mich in Brighton heimgesucht. Vielleicht hatte Susan mich angesteckt? Vor ein paar Wochen kam sie zu mir nach Hause - ich war seit Tagen krank, liebeskrank und ging nicht zur Arbeit. Ich hockte missmutig im Wohnzimmersessel und sah trübsinnig ins Kaminfeuer. Auf einmal stürmte Susan wie von Furien gehetzt aus dem Schlafzimmer. Mit zitternder Hand wies sie auf unser Bett.
    »Kannst du mir das erklären? « Ungläubig blickte ich auf die Kopfkissen, auf denen lange, blonde Haare lagen. Und Susan ist brünett. Und der Duft im Zimmer, gütiger Himmel. So wie auf unserem Liebeslager in Brighton: Sandelholz, Parfüm und Weihrauch; dann ein Gemisch aus Tod und Verwesung. Susan machte mir eine schreckliche Szene, bei der ich alles abstritt, denn in London war ja tatsächlich nichts vorgefallen.
    Sie warf mir Untreue vor, drohte mit Scheidung und verließ kurz darauf das Haus, um bei ihrer Cousine Unterschlupf zu finden.  Ich möge mich in drei Wochen entscheiden, sonst wolle sie bei unserem Anwalt vorstellig werden. Wiedermal zweifelte ich an meinem Verstand, wobei mich die Leere des großen Hauses noch mehr hinabzog. Ich ging verstört ins Wohnzimmer, da hörte ich eine klare, aber brüchige Stimme aus dem Schlafzimmer:
    »Guten Abend, mein Liebling. Ich bin zu dir gekommen! « Sie lag nackt auf dem Bett und rauchte eine Zigarette. Nona streckte mir ihre bleichen Hände entgegen.
    »Nun sind wir für immer vereint«, sagte sie, und ich warf mich wie von Sinnen in ihre Arme.
    Mr. Holmes! Morgen ist Susans Ultimatum verstrichen. Und ich glaube, ich verliere den Verstand, denn ich liebe Nona und denke ununterbrochen an Susan. Dabei geht es mir immer schlechter, und wenn Sie mir nicht helfen, bringe ich mich um. Befreien Sie mich von Miss Trevor! Ich zahle Ihnen jeden Preis. Sogar mit carte blanche, wenn Sie es wünschen.«
    Holmes nickte. »Ist Miss Trevor jetzt bei Ihnen und schläft? «
    »So ist es«. Holmes sprang auf.
    »Dann wollen wir keine Zeit verlieren! Watson, holen Sie einen großkalibrigen Revolver! Und vergessen Sie Ihre Arzttasche nicht. Sie ist vielleicht noch wichtiger als die Waffe«.
    »Mr. Holmes, ich weiss nicht, wie ich Ihnen danken soll . Aber was um Himmels willen wollen Sie mit einer Revolver? «
    Holmes ging gar nicht darauf ein, sondern bedeutete Midwinter mit seiner berühmten, herrischen Geste zu schweigen; mit der theatralischen Geste eines Dirigenten, der während eines düsteren Moll-Akkordes ins Orchester weist. Der wässrige Morgennebel verschlang unseren Landauer, und der Kutscher zog fröstelnd den Kragen hoch. Das holprige Pflaster führte durch eine Kastanienallee, die Hufe der Pferde wirbelten verwelktes Laub auf.
    »Holmes, was zur Hölle haben Sie vor? « Doch er blickte finster in den trüben Himmel.
    »Mein lieber Watson, es gibt Grenzen, wo jede Analyse aufhört«, sagte er hohl. »Dann zählt nur noch Handeln, egal, welche Konsequenzen man zu erwarten hat. Das Leben, mein Lieber, hat mit Büchern und Wissen nicht das Geringste zu tun. Das bilden wir uns nur ein. Und ich befürchte, ab heute werde ich überhaupt kein Buch mehr lesen. Vielleicht widme ich mich sogar der Bienenzucht und ziehe mich aufs Land zurück;

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