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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Peters
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werden sollte, dann hätte ich diesen Jemand schallend ausgelacht. UnfaßlicheAber etwa vier Stunden später trat das Unfaßssiche tatsächlich ein - der größte Detektiv aller Zeiten streckte  mit sechs Schüssen aus seinem Revolver ein unschuldiges Mädchen nieder.
    Beinahe noch ungeheuerlicher sind die Geschehnisse, die dazu geführt haben, und voller Abscheu und Unglauben blicke ich auf die mysteriösen Verstrickungen zurück, die diese Bluttat ausgelöst haben.
    Doch ich greife vor, eine Untugend, die einem Chronisten nicht ansteht. Aber je mehr ich diesen Fall rekapituliere, desto mehr neige ich dazu, das Geschehen als den Alptraum zweier nicht mehr ganz junger Gentlemen zu betrachten. Denn ich war noch zu sehr mit dem frühzeitigen Tode meiner geliebten Frau Mary, geb. Morstan, beschäftigt, und eine neuerliche Vermählung ging mir durch den Kopf.
    Holms litt wieder einmal an Depressionen, wie immer, wenn kein neuer Fall in Sicht war. Selbst Geigenspiel und eine siebenprozentige Kokain-Lösung vermochten ihn nicht aufzuheitern. Der Sommer war gottlob vorbei, der Sommer, plump, laut und aufdringlich geschminkt wie eine Hure, um seine Anbeter hernach in ein bodenloses Loch fallen zu lassen. Er wurde von der dunklen Jahreszeit abgelöst, die tiefen Frieden bringt und völlige Entrückung in jenseitige Welten. Der Abend war nass und trübe, welkes Laub bedeckte die Baker Street, und durch den trägen Nebel eilten frierende Menschen nach Hause. Mein Blick fiel gelangweilt auf die burgunderfarbene Seidentapete, dann auf den mittlerweile fünfzigjährigen Freund und Partner, der mir nun gar nicht gefallen wollte. Sein scharf geschnittenes Gesicht war gelblich, und seine Augen noch trüber als der Smog draussen. Er starrte mit leerem Blick ins Kaminfeuer und sog an seiner Pfeife. Der Shag-Tabak bedeckte seinen roten Morgenrock aus Brokat, auf dem chinesische Drachen eingestickt waren, die mich böse fixierten, als wollten sie Holmes vor meinen Blicken schützen. Neben der Couch lagen wahllos und aufgeschlagen Magazine und Bücher herum, ein Zeichen seiner Desorientierung und Langeweile.
    Eine Gaslampe warf seltsame Schatten auf Reagenzgläser, und ich war froh, dass diese Erfindung, die seit über zehn Jahren in den Haushalten Einzug hielt, das garstige Petroleum ersetzt hatte. Aber ich durfte mich von dieser bleiernen Stimmung nicht anstecken lassen. So überlegte ich mir  krampfhaft  einen Grund, dieses Mausoleum für ein paar Stunden verlassen zu können. Vielleicht sollte ich mit Mrs. Hudson, unserem guten Geist, spazieren gehen. Doch angesichts dieses trüben Wetters würde sie mich für übergeschnappt halten. Beinahe hätte die Resignation meine Knochen völlig erstarren lassen, als ich einen jungen Mann im Ulster zielstrebig auf die Baker Street 221 B zueilen sah. Mir fiel ein Stein vom Herzen, und meine Muskeln entkrampften sich. Es war wohl ein neuer Klient, und inzwischen war es mir völlig gleichgültig, was er von uns wollte, denn ich ahnte nicht, in welchen Strudel von Schrecken und Wahnsinn wir durch diesen jungen Mann gerissen werden sollten.
    Holmes, der von seiner Liege natürlich nicht das Geschehen auf der Straße verfolgen konnte, griff in die Zigarrenkiste und sagte:
    »Ich bin gespannt, was uns der junge Mann mitzuteilen hat«.
    »Woher, um alles in der Welt, wissen Sie, dass es sich um einen jungen Mann handelt? Es könnte ja auch eine ältere Lady oder ein alter Mann sein. Oder eine junge Frau und ...«
    Holmes paffte gelangweilt blaue Wolken in den Kamin.
    »Beobachtung, Watson! Beobachtung! Wie oft muss ich Ihnen das noch sagen? Ich habe Sie beobachtet, und die lange Zeit unserer erquicklichen Partnerschaft belehrte mich, dass Sie siebzehn verschiedene Mienen zur Verfügung haben, wenn Sie Menschen beobachten. Ein älterer Gentleman konnte es also nicht sein, denn dann hätten Sie Ihr Gesicht nicht bewegt, sondern zur Zigarre gegriffen. Bei einer alten Lady hätten Sie die rechte Braue emporgehoben, bei einer jüngeren beide und zur Zigarette gegriffen, wobei Sie mit dem rechten Nasenflügel geschnuppert hätten«.
    »Holmes, ich bin kein Kaninchen! « Um dieser peinlichen Situation zu entgehen, blickte ich auf den Kaminsims. Dort stand das Bildnis einer wunderschönen und zugleich klugen Frau. Holmes konnte meine Gedanken lesen.
    » Sie entsinnen sich, was ich Ihnen vor langer Zeit geantwortet habe, auf Ihre lästige Frage hin, ob ich nicht in der Lage sei, eine Frau zu

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