Tesarenland (German Edition)
und kurz denke ich darüber nach, von der Ladefläche zu springen und wegzulaufen. Ich sehe zumindest nirgendwo Speere. Wenn ich schnell genug wäre, könnte ich entkommen. Aber dann fällt mein Blick auf Luca. Ich werde ihn bestimmt nicht allein hier zurücklassen. Also folge ich dem Silberanzug.
Er trägt Luca auf eine große Stahltür zu. Sie sieht etwa so aus wie die im Wald, die Roland von Laub und Schmutz befreit hat, hinter der sich unser erster Rebellenunterschlupf befunden hat. Nur diese hier ist viel größer. Groß genug, dass ein Laster hindurchfahren könnte.
Als wir die Tür passiert haben, kommen wir in einen langen Gang. An den Wänden führen Rohre entlang, alle paar Schritte gibt es ein Licht, das kaum genug des Ganges ausleuchtet. Der Gang erinnert mich wiederum an die Kanalisation, durch die wir uns gekämpft haben, nachdem Luca den Tesar getötet hat. Das alles hilft mir nicht dabei, herauszufinden, wo wir sind, und vor allem, bei wem.
Am anderen Ende verzweigt sich der Gang in mehrere Richtungen. Wir gehen nach rechts. Hier gibt es auf dem sauberen Boden einen roten Streifen. Diesem folgen wir an mehreren Türen vorbei. Wir betreten die letzte Tür. Hinter dieser Tür befindet sich ein kleines Zimmer mit Gerätschaften, von denen ich einige schon gesehen habe, in der Funktionshütte. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Wir befinden uns in einem Tesarenlabor. Es gibt eine riesige Glasscheibe in dem Zimmer, hinter dieser Scheibe stehen mehrere Betten. Der Silberanzug trägt Luca in diesen Raum und legt ihn auf dem ersten Bett ab. Er dreht sich um, geht an mir vorbei. Ich schaue ihm ratlos hinterher, aber ich werde hier bei Luca bleiben, also stelle ich mich neben Luca an das Bett und nehme seine Hand.
Der Silberanzug schließt die Tür und sperrt uns in dem Glasraum ein. Durch die Scheibe kann ich sehen, dass er auch den Raum mit den Laborgeräten verlässt.
Ich sehe mich um, es gibt keine Fenster, die nach außen führen, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Der Gang hat in einen Berg hineingeführt. Als ich aus dem Laster gesprungen bin, habe ich die größten Berge gesehen, die ich mir je hätte vorstellen können. Eigentlich habe ich mir Berge nie so groß vorgestellt. Wenn Marco uns eine Geschichte vorgelesen hat, in der Berge eine Rolle gespielt haben, dann waren sie in meiner Vorstellung etwa so hoch wie ein Baum. Diese hier haben scharfe weiße Spitzen, und sie befinden sich überall um uns herum. Sie sind wunderschön, beeindruckend und einen zweiten Blick wert. Aber ohne ein Fenster? Vielleicht kann ich einen weiteren Blick riskieren, wenn Luca uns hier raus bringt.
Ich streife durch den Raum. Da sind merkwürdige silberne Armaturen in den Wänden direkt über den Betten, eine mit einem blauen Schild, eine mit einem gelben. Es gibt ein Bild an einer Wand, auf dem kann man einen dieser Berge sehen. Aber das Bild ist nicht halb so beeindruckend wie die Realität.
Hinter einer kleinen Tür befindet sich ein ganz winziger Raum. Darin ist alles Weiß. Ich drücke auf einen Knopf und Wasser rauscht in ein Loch. Ich betätige einen anderen Riegel und lauwarmer Regen prasselt mir ins Gesicht. Entsetzt springe ich zurück. Trete dann noch einmal näher und halte meine Hand in den Strahl. Ich muss kichern. Wasser, das aus den Wänden kommt. Wo bin ich hier nur? Noch mal drehe ich an dem Knauf und das Wasser versiegt. An einem Haken hängt ein Tuch, ich nehme es einfach und wische mir damit das Gesicht trocken – es ist nicht so kratzig wie die Stoffe, mit denen wir uns in der Kolonie gewaschen haben. Danach hat das leuchtende Orange einen riesigen schwarzen Fleck. Ich zucke mit den Schultern und hänge das Tuch zurück.
»Brenna ?«, höre ich Luca rufen. Seine Stimme ist nur ein raues Kratzen.
Ich komme aus meinem Versteck, als Luca gerade versucht sich aufzurichten. Ich bin erleichtert, weil ich gedacht habe, er hätte schon den Zustand erreicht, in dem Kayla auf nichts mehr reagiert hat. »Ich bin hier«, sage ich und trete zu ihm. Er lässt sich aus dem Bett gleiten und sieht sich um.
»Ein Tesarenlabor«, sage ich.
Luca verzieht das Gesicht, reibt sich den Kopf und stöhnt. »Mein Kopf hämmert. Was haben die mir nur gegeben ?«
Ich runzle die Stirn und sehe ihn verwundert an. Wann sollten sie ihm was gegeben haben? Ich war doch die ganze Zeit bei ihm gewesen. »Sie haben dir nichts gegeben«, sage ich.
»Eine Spritze, direkt in den Arm.« Luca reibt sich über den Oberarm.
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