Tesarenland (German Edition)
wenn wir uns den Platz unter dem Fenster sichern. Deswegen lasse ich mich langsam an der Wand heruntergleiten, blicke demonstrativ in die Runde und nehme Kayla zwischen meine Beine.
Unsere Mitgefangenen scheinen sich mit der Situation, in der wir uns befinden, abgefunden. Die meisten stehen oder sitzen reglos herum, starren leer vor sich hin. Nur von zwei kleinen Jungen hört man immer wieder ein Schluchzen. Sie sind in Kaylas Alter. Nicht viel größer als sie. Die anderen sind zwischen vierzehn und siebzehn – vier Jungen, drei Mädchen. Ich kenne nur eins der Mädchen besser. Sie hat mit mir zusammen hin und wieder den Geschichten des alten Marco gelauscht. Sie lächelt mir knapp zu, als sie meinen Blick auf sich spürt.
Ich erinnere mich an einen der Nachmittage, als wir nebeneinander vor der Hütte von Marco gesessen haben. Einmal in der Woche hat Marco uns Geschichten aus der alten Welt erzählt. Ich denke, es war fast ein wenig wie früher in den Schulen. An diesem Sommernachmittag hat uns Marco vom großen Krieg erzählt. D ass der große Krieg gar kein richtiger Krieg war. Eines Tages wären die Tesare mit riesigen Fluggefährten gekommen. Raumschiffe hat Marco sie genannt. Die Schiffe wären über den Kontinenten geschwebt. Über jedem eins. Ich weiß nicht einmal, was Kontinente sind. Marco hat gesagt, früher haben die Kinder das in den Schulen gelernt.
Die Tesare hätten nicht versucht Kontakt mit uns aufzunehmen. Die Menschen haben es sehr wohl versucht, nur bekamen sie auf ihre Botschaften keine Antworten. Die Schiffe schwebten einfach mehrere Tage über den größten Städten. Und die Menschen haben abgewartet. Einfach gewartet. Sie hatten Angst, wenn sie etwas unternehmen würden, dass die Aliens es als aggressive Handlung verstehen könnten. Also haben sie zum Himmel hinaufgestarrt und gehofft, dass die Fremden aus dem Weltall freundschaftliche Absichten haben würden.
Dann, hat der Älteste gesagt, h aben die Raumschiffe etwas in die Luft geschossen. Wie ein feiner Nebel ist der Tod auf die Menschheit niedergerieselt. Zeitgleich haben sie unsere Kommunikation und die Elektrizität abgeschaltet. Nur wenige Stunden später sind die ersten Menschen krank geworden, kurz darauf sind sie gestorben. Die Krankheit hat sich ausgebreitet wie ein Lauffeuer. Und die Menschen sind hilflos gewesen. Nichts konnte die Infizierten retten, nichts die Ausbreitung aufhalten. Alle Technik, alle Wissenschaft der Menschheit war machtlos. Panik, Gewalt und Tod herrschten in den Städten. In nur zwei Wochen starben siebzig Prozent der Menschheit. Der Rest wurde versklavt, in Kolonien gesperrt oder abgeschlachtet.
Ich kuschele mich noch näher an Kayla heran. Je mehr die Nacht voranschreitet, desto kälter wird es. Hier gibt es keinen wärmenden Ofen, nur die steinernen Wände und den verdreckten Boden. Die eisige Kälte sitzt mir tief in den Knochen. Es fühlt sich an, als würden unzählige Glasscherben in meinem Körper stecken. Ich drücke meine Lippen gegen Kaylas Nacken, um etwas von ihrer Körperwärme aufzunehmen. Am liebsten möchte ich mit Kayla verschmelzen, damit ich den Frost nicht mehr spüre. Auch der Hunger macht mir zu schaffen. Meine Gedanken kreisen um die leckere Suppe, die noch immer auf dem Ofen in unserer Hütte steht. Vielleicht hat sie auch jemand von den Zurückgebliebenen gegessen. Ich hoffe, sie konnte ihn etwas stärken. Irgendwann fallen mir die Augen vor Müdigkeit zu. Ich versuche gegen den Schlaf anzukämpfen, weil ich auf meine Schwester aufpassen muss. Ich kann es mir nicht leisten, unvorsichtig zu werden. Meine Augen brennen, aber dann verliere ich den Kampf doch. Ich werde erst wieder wach, als meine Schwester sich in meinen Armen regt.
Sie tastet nach dem Trockenfleisch in ihrer Tasche. Ich halte sie zurück. Wenn sie es jetzt herauszieht, wird Streit darum ausbrechen. Wir alle sind hungrig und schwach. Unmöglich könnte ich Kayla vor neun ausgehungerten Menschen beschützen. Ich kann sie schon kaum vor mir beschützen. Wie gerne würde ich mich selbst auf den Schatz in ihrem Leinenkleid stürzen. Aber Kayla geht vor. So habe ich es von Mutter gelernt. Sie hat immer erst uns gegeben, bevor sie sich selbst genommen hat.
»Ich habe Hunger«, wimmert Kayla. »Nur ein winziges Stück bettelt sie. Die anderen haben sich zu uns umgedreht. Wie soll ich Kayla etwas von dem Fleisch nehmen lassen, wenn sie alle herschauen?
»Schscht«, sage ich eindringlich. Aber ich weiß, dass es
Weitere Kostenlose Bücher