Tesarenland (German Edition)
nicht auf euch schießen.« Sie nickt dem Alien kurz zu, wohl als Zeichen, dass sie uns aufgeklärt hat. Vielleicht auch ein stummer Befehl zu feuern, wenn wir uns widersetzen. Ich runzle die Stirn. Was für ein Mensch steht auf der Seite der Tesaren? Jeder von uns sollte sie doch hassen?
»In den Kisten findet ihr Essen und Kleidung. Das Essen nehmt ihr sofort zu euch, die Kleidung zieht ihr an. Das Wasser in den Flaschen teilt ihr euch ein .« Sie dreht sich um und greift nach der ersten Spritze.
»Wozu die Injektion«, fragt einer der Jungen in meinem Alter. Er hat braunes struppiges Haar und ist so mager, dass sein Hals ganz lang wirkt und seine Augen tief in den Höhlen liegen. Mein Herz hämmert, weil ich damit rechne, dass der Tesar feuern wird, und weil ich hoffe, dass die Frau antwortet.
»Es ist ein Medikament. Eine Spritze, die wir euch in den Arm geben , gegen verschiedene Krankheiten. Da ihr in den Kolonien kaum welchen ausgesetzt wart, müssen wir euch jetzt schützen.«
»Wo bringt man uns hin ?«, fragt der Junge weiter. Ich bewundere ihn für seinen Mut.
»In die Minen«, sagt die Frau trocken. Ich schlucke erschrocken. Ich habe davon gehört, dass die Tesare Menschen in die Minen schicken. Die Arbeit soll schwer und hart sein. Unwillkürlich ziehe ich Kayla näher an meine Brust. Die Frau ruft den Ersten von uns auf. Es ist der Junge, der die Fragen gestellt hat. Er tritt vor, sie scannt seinen Arm, stößt ihm die Nadel in die Haut und händigt ihm eine Kiste aus.
Als Kayla an der Reihe ist, will sie sich nicht von mir lösen. Ich muss meine ganze Kraft einsetzen, um ihre Arme von meinem Hals zu bekommen.
»Es passiert dir nichts«, flüster e ich. »Denk nur an das Essen.« Tränen laufen über ihre Wangen. Eigentlich ist sie mutiger. Hat sie Angst vor der Spritze? »Es wird nicht wehtun«, beruhige ich sie. Ob es wirklich so ist, kann ich nicht sagen. Ich kann mich nicht an meine erste Spritze erinnern.
Der Tesar gluckst und aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er einen Schritt auf uns zu macht. »Kayla«, sage ich jetzt drohend und kämpfe gegen sie an.
Sie muss die Panik in meinem Gesicht gesehen haben, denn sie gibt nach. Sie geht ein paar Schritte rückwärts und wendet sich dann mit einem trotzigen Ausdruck um den Mund herum ab. Die Frau drückt ihr die Spritze in den Arm, Kayla zuckt kurz zusammen, presst dann die Lippen aufeinander und nimmt mit ungerührter Miene ihre Schachtel entgegen.
Danach bin ich dran. Ich starre auf die graue Wand, die sich mir gegenüber befindet, während ich meine Spritze bekomme. Auch ich fahre kurz zusammen, als sich die Nadel in meine Haut bohrt. Als ich die Lippen zusammengepresst habe, ist es schon überstanden. Ich atme erleichtert aus, nehme meinen Karton, mit einem erwartungsvollen Kribbeln im Bauch, und setze mich zu Kayla.
Der Aufseher bleibt auch im Raum, als wir unsere Kisten öffnen, den Metallbehälter mit der warmen Gemüsesuppe leeren und unsere neue Kleidung anziehen. Ich denke, er will sichergehen, dass wir uns nicht streiten. Aber dazu gibt es keinen Grund, wir alle genießen jeden Löffel Suppe und waren lange nicht mehr so zufrieden.
Kay la braucht meine Hilfe bei ihrer Kleidung. Die Hose ist ihr etwa eine Handbreit zu lang. Ich muss aus ihrem Kleid einen Streifen herausreißen und ihn ihr um die Hüfte schlingen, damit sie die dicken Stoffhosen nicht verliert. Bei der gefütterten Jacke muss ich die Ärmel umschlagen. Sie geht ihr fast bis zu den Knien. Aber das ist nicht falsch, so hält sie die Kälte noch besser fern. Und in den Minen wird es bestimmt kalt sein. Die Sachen sehen alle ungetragen aus. So schöne Dinge hat noch keiner von uns besessen.
In der Schachtel liegt auch noch eine Packung Kekse, wie wir sie von den Soldatenrationen kennen, die wir manchmal bekommen. Ich stopfe meine in den kleinen Stoffsack, der sich neben einer Flasche Wasser auch noch in dem Karton befindet. Danach setze ich mich wieder zu Kayla, die seit langem Mal wieder lächelt. Ich muss auch lächeln. Die warme Suppe und die dicken gefütterten Sachen fühlen sich so gut an wie schon ewig nichts mehr. Seit Wochen war mir nicht mehr so warm. Schon allein dafür hat sich dieser Ausflug doch gelohnt. Auch in den Gesichtern der anderen kann ich Fassungslosigkeit über so viel Glück sehen.
Es passiert am zweiten Tag. Einer der kleineren Jungen, sein Name ist Samuel, fängt plötzlich an zu krampfen. Sein Körper zuckt und schüttelt sich. Er
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