Tesarenland (German Edition)
jedem aus dem Weg gegangen .« Irgendwie stört es mich ein wenig, dass Luca glaubt, er müsse genauso blöd werden, wie die anderen Jungen in unserem Alter, die sich ständig über uns Mädchen lustig machen, irgendwo herumstehen und geistlose Kommentare abgeben. Er war mir immer so anders vorgekommen; nachdenklich, reifer, überlegter. Meist hat er mit unbewegtem Blick vor sich hingestarrt. Während die anderen Jugendlichen sich unterhalten oder auch mal Unfug getrieben haben, soweit das für uns möglich war. Zumindest hat er nie dumme Witze über Mädchen gemacht. Aber das hätte ja auch erfordert, sich mit uns abzugeben.
»Ich habe etwas gesehen«, sage ich mit einer Mischung aus Entrüstung und Aufregung.
»Haben sie schon wieder jemanden erschossen?« Jetzt sieht Luca besorgt aus und das Schmunzeln ist aus seinem Gesicht gewichen.
»Ja, zwei«, sage ich und schaue ihn ernst an. Zumindest versuche ich das. Aber als Luca schockiert der Mund aufklappt und sein Gesicht dunkelrot anläuft, fange ich an zu prusten. »Zwei Hunde«, füge ich kichernd an.
»Hunde?«
Ich erzähle ihm die ganze Geschichte, lasse auch nicht aus, wie ich den Stein geworfen habe und nichts passiert ist. »Es gibt keinen Zaun«, sage ich zu ihm und würde am liebsten laut schreien vor Begeisterung.
»Bist du sicher?«
Ich hocke mich hin, durchwühle das Laub nach einem Stein, der schwer genug ist, um weit fliegen zu können, und reiche ihn Luca. »Versuch es .«
Er schaut mich einen Moment ungläubig an, holt dann aber Schwung und wirft. Der Stein fliegt noch weiter als meiner. Auf seinem ganzen Flug löst er nirgends einen Lichtblitz aus. Luca sucht sich noch einen Stein, tritt bis an den Hang heran und wirft ihn von unten den Abhang hinauf, sodass er nur wenige Zentimeter über dem Boden entlang fliegt.
Er dreht sich zu mir um und schaut mich mit schief gelegtem Kopf an. Er runzelt die Stirn und fährt sich mit der Hand durch sein dichtes Haar. »Und der Hund ist heruntergerutscht?«, fragt er, aber mir scheint, als wäre er mit den Gedanken schon viel weiter.
»Ja«, bestätige ich. »Bis zur Hälfte. Dann hat der Tesar gefeuert.« Ich zeige ihm die ungefähre Höhe. »Vielleicht hatten sie einfach noch keine Zeit, einen Zaun zu errichten.«
Luca schaut ungläubig. »Sie sind so kontrollsüchtig. Das glaube ich nicht. Vielleicht ist der Zaun weiter weg? Vielleicht wegen der Mine. Die verläuft hier unten irgendwo. Niemand weiß, wie tief in die Erde diese Dinger funktionieren .«
Was Luca sagt, versetzt mir einen Schlag. Er könnte recht haben. »Nein. Wie sind die Hunde dann hier reingekommen?«
»Sie waren schon immer da«, sagt er trocken.
Das könnte stimmen, aber ich will es nicht glauben. Ich will es nicht hören. Nicht, wo Kayla morgen sterben soll. »Ich werde heute Nacht gehen«, sage ich entschlossen. »Und wenn ich alle zwei Schritte einen Stein werfen muss.« Ich weiß, ich klinge verzweifelt und auch ein wenig trotzig, aber es ist mir egal. Welche andere Möglichkeit bleibt mir denn schon.
In der Nacht sind unsere Chancen am größten. Wenn wir es schaffen, den Abhang hinauf zu kommen, ohne dass die Tesare uns bemerken, dann werden sie vor morgen früh nicht mitbekommen, dass wir weg sind. Bis dahin hätten wir einen guten Vorsprung. Ich will nur ein paar Tage für Kayla. Nur ein Versteck, in dem sie in aller Ruhe und in Freiheit gesund werden kann, oder sterben. Aber Mutter hat gesagt, in Freiheit könnte sie gesund werden, also wische ich jeden Gedanken an den Tod einfach weg. Ich werde es auf jeden Fall versuchen, auch ohne Luca. Und sollten Kayla und ich dabei sterben, dann ist es eben so. Morgen würden die Tesare Kaylas Leben so oder so beenden.
7. Kapitel
Ich habe Kayla nicht gesagt, was wir vorhaben. Als alle schlafen, wecke ich sie. Sie schaut mich verwirrt an, als sie sieht, dass ich meine Hose und meine Jacke anhabe. Ich lege einen Finger auf meine Lippen, um ihr zu bedeuten, dass sie ruhig sein soll. Sie schaut mich noch fragender an. Am Abend hat sie Nasenbluten gehabt. Im Licht der kleinen Lampe, die über ihrem Bett hängt, kann ich noch immer etwas Blut unter ihrer Nase sehen.
Mit der einen Hand ziehe ich ihre Decke weg, mit der anderen reiche ich ihr ihre Kleidung. Sie runzelt ihre Stirn, greift aber nach ihren Sachen. Ich muss ein Lachen unterdrücken, weil ihre Haare wie Stacheln in alle Richtungen ragen. Kayla hat schon immer langes Haar gehabt. Sie hat es gemocht,
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