Tesarenland (German Edition)
angezeigt. Eigentlich wissen alle Wächter, was sie mit herumstreunenden Menschen zu tun haben; erschießen. Die meisten von ihnen sind Gegner, nicht gefährlich, aber lästig. Herumstreunende Kinder sind selten. Eigentlich hat er das noch gar nicht erlebt. Aber sie haben Chips, was heißt, sie sind registriert. Und diese Daten erst. Er bekommt einfach keine Informationen.
Wie er es hasst zum Tenan zu müssen. Er tritt dem Anführer nicht gerne unter die Augen. Er versetzt ihn in Panik. Der Tenan ist grauenvoll, durch und durch bösartig und machthungrig. Er regiert seinen Clan mit Unbarmherzigkeit. Schon die kleinste Verfehlung hat schlimmste Folter zur Folge. Er liebt es zu foltern, egal ob Mensch oder Tesar. Aber er belohnt Gehorsam auch. Regelmäßig genehmigt er Menschenjagden für besondere Verdienste. Naél ist sich nur nicht sicher, ob ihm diese Art der Belohnung gefällt. Viel zu oft empfindet er Mitleid mit diesen Kreaturen.
Naél steht vor dem Menschenfahrstuhl und wartet, dass sich die Türen öffnen. Er versucht ganz ruhig zu wirken. Nur wenige Schritte links von ihm steht ein weiterer Wächter. Er darf sich seine Nervosität nicht anmerken lassen. Gefühle sind in ihrer Gesellschaft verpönt. Ein Tesar darf weder Wut, Hass, Trauer noch Liebe empfinden. Tesaren, die Gefühle empfinden sind Ausgestoßene in ihrem Volk. Naél empfindet Gefühle, aber er verbirgt sie. Bisher hat niemand seinen kleinen Makel entdeckt. Die meiste Zeit kopiert er einfach nur die anderen Wächter, die ihrer Arbeit mit eingefrorenen Mienen nachgehen. Manchmal fragt er sich, ob dieser Makel wirklich einer ist. Vielleicht verstellen sich alle nur. Zumindest wünscht er sich das.
Der Fahrstuhl kommt, Naél steigt ein und drückt den obersten Knopf. Im Spiegel überprüft er seinen Gesichtsausdruck, nichts darf seine Gefühle verraten. Er fährt fünfunddreißig Etagen nach oben, steigt aus dem Aufzug und wendet sich nach rechts dem Treppenaufgang zum Dach zu. Zwei Wächter stehen auf dem Flachdach. Naél grüßt sie indem er seine flache Hand auf das Zentrum seiner Brust drückt. Die beiden grüßen nicht zurück, sie sind höherrangig als er. Ohne Aufforderung zeigt er den Wächtern die Daten der Kinder auf seinem Ausleser. Naél bemüht sich, seine Angst zu ignorieren. Er verweigert sich selbst, den Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken. Jetzt zu schlucken würde seine Schwäche verraten.
Beide Wächter mustern Naél genau, scannen seinen Chip und legen dann ihre Hände auf ein Bedienfeld. Naél hebt seinen Blick zum Mutterschiff hoch, dass wie eine schwarze Wolke über seinem Kopf schwebt und den Himmel über der Stadt verdunkelt. Von hier unten erkennt man nichts, außer einer dunklen Fläche. Dann öffnet sich langsam ein weißer Spalt in diesem endlosen Schwarz. Ein Blitz fährt auf Naél herunter, als er seine Augen wieder öffnet, steht er im Transporterraum des Schiffes. Der Raum ist nur spärlich von den Schaltlichtern in den Bedienfeldern beleuchtet. Am Ausgang steht ein Wächter mit dem Rücken zu ihm. Naél strafft die Schultern und holt tief Luft. Den Körper starr, tritt er an dem Wächter vorbei in einen langen Korridor. Er legt eine Hand auf die Sprechanlage und meldet dem Leibwächter des Tenan seine Ankunft. Der Leibwächter befiehlt ihm, seinen Chip unter das Display zu halten, ein hoher Ton erklingt, dann wird Naél aufgefordert den Tenan aufzusuchen.
Zu seiner rechten befindet sich der interne Schiffstransporter. Naél betritt den Raum, der nicht größer als ein menschlicher Fahrstuhl ist, legt sein Handgelenk auf das Display. Sein Chip leuchtet auf, ein Brummen ertönt, neben dem Bedienfeld flackert die Energiewand auf. Der Leibwächter hat den Zugang auf Naéls Chip programmiert. Nur sein Chip also gewährt ihm den Zugang zum Tenan. Wo genau sich ihr Anführer in dem riesigen Raumschiff befindet, wissen nur die dem Tenan direkt unterstellten Bediensteten. Der Transporter bringt Besucher direkt in die Halle des Tenan, sodass niemand den genauen Standort der Herrscherhalle herausfinden kann. Wäre Naéls Chip nicht auf den Standort des Tenan programmiert, könnte er Tage durch das riesige Raumschiff irren, ohne auch nur einmal den Thronsaal des Herrschers zu finden.
Naél tritt durch das Portal. Die Sicht verschwimmt vor seinen Augen, kurze Dunkelheit umhüllt ihn. Als Naél wieder festen Boden unter seinen Füßen spürt, steht er vor dem Herrscher. Die roten Augen des Tenan blicken ihn an. Naél
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