Tesarenland (German Edition)
Mutter ab. Und an Mutter denken, möchte ich jetzt gar nicht. Ich möchte nicht darüber nachdenken, wie es für sie sein muss, von Tesaren durch eine der verlassenen Menschenstädte gejagt zu werden. Immer in der Angst, sie wird entdeckt und getötet. Ich möchte nicht wissen, ob sie vielleicht sogar schon tot ist.
Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass ich wünschte, sie wäre schon tot. Dann hätte sie es hinter sich. Am liebsten würde ich mich für diesen Wunsch schämen, aber das kann ich nicht so recht. Denn es ist die Wahrheit, wenn sie tot ist, muss sie keine Angst mehr haben. Gleichzeitig schwöre ich ihr, alles daran zu setzen, um Kayla in Sicherheit zu bringen.
Das ist es, was Mutter von mir wollen würde. Das ist es, was ihre Augen mir signalisiert haben, an dem Tag, an dem die Tesare sie geholt haben. Was werden sie mit ihr gemacht haben, in der ganzen Zeit bis heute? Ich schüttele den Kopf. Nur nicht darüber nachdenken. Bestenfalls war sie in einem ähnlichen Lager wie unserem, hat regelmäßig zu essen bekommen. Schwach hat sie nicht ausgesehen, als sie vor dem Laster gewartet hat. Ich drücke Kaylas Hand, sie drückt meine zurück.
Plötzlich tauchen in der Dunkelheit ein paar gelb leuchtende Augen vor uns auf. Roland bleibt abrupt stehen, bedeutet uns, hinter ihm zu bleiben. Luca geht langsam um uns herum, postiert sich auch schützend vor uns. Die Augen kommen näher, reflektieren das Licht unserer Taschenlampe. Als ich mir schon sicher bin, dass es eine dieser Bestien ist, taucht ein zweites und ein drittes paar Augen auf. Ein Rudel Wildhunde. Einer von ihnen knurrt. Luca tastet sich langsam an Roland heran. Seine Hand wandert an Rolands Rucksack, dann reißt er eine der Waffen aus der Tasche. Fast zeitgleich tut das auch Roland.
Mehrere Schüsse hallen durch die Nacht. Winselnd gehen zwei Hunde zu Boden. Der Dritte stürzt sich auf Roland, reißt ihn von den Füßen. Seine spitzen Zähne greifen nach Rolands Kehle. Wie angewurzelt stehe ich neben Kayla. Ich halte meinen Arm vor ihren Körper und wage nicht, mich zu bewegen. Roland schützt seinen Hals mit seinem Unterarm. Der Hund zerfetzt den Stoff des Mantels. Er zerrt und reißt an der Jacke, dann lässt das Tier los und schnappt sofort wieder nach. In seiner Kehle grollt es bedrohlich. Luca lässt die Taschenlampe zu Boden fallen. Er schlingt dem Hund die Arme um die Kehle und drückt dessen Kopf gegen seine Brust. Ich halte die Luft an. Ich befürchte, der Hund wendet sich gleich Luca zu, verletzt ihn gefährlich. Schon suche ich nach einem Weg, das Tier von Luca wegzubekommen. Wild blicke ich mich um.
Die Schnauze des Hundes schnappt jetzt nach Lucas Gesicht. Der Hund zappelt herum, versucht sich mit ganzer Kraft , gegen seine Gefangenschaft zu wehren. Ich greife nach dem Gewehr, das Luca hat fallen lassen. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, und ich habe auch viel zu viel Angst davor, was es anrichten könnte, deshalb zögere ich einen Moment, bevor ich dem Hund das breite Ende auf die Schnauze schlage. Der Hund quietscht markerschütternd auf, befreit sich aus Lucas Umklammerung und verschwindet in der Dunkelheit.
Roland liegt noch immer auf dem Boden. Er hält sich seinen Arm und stöhnt. Luca hilft ihm auf und ich ziehe so vorsichtig wie möglich seinen Arm aus dem Mantel. Der Hund hat nicht nur den Stoff zerfetzt, sondern auch Rolands Haut. Große Wunden klaffen im Unterarm. Ich kann im Licht der Taschenlampe bis auf den Knochen heruntersehen. Blut fließt wie ein Strom über den Arm, tropft auf Rolands Hose und verfärbt auch Lucas Hände. Übelkeit kriecht mir die Speiseröhre hinauf. Kayla stöhnt hinter mir.
Sie hockt vor dem Kadaver eines Hundes und stochert mit einem Stock in der Wunde herum, die das Gewehr hinterlassen hat. Ich starre sie fassungslos an und wieder schwappt eine Welle der Übelkeit über mich hinweg.
»Das ist eklig«, murmelt sie. »Und wie der stinkt .«
Ich ziehe sie weg und schüttele ihre Hand, bis sie den Stock fallen lässt.
»Was ist, wenn er krank ist?«, rege ich mich auf und begreife nicht, wie sie so was tun kann. Dann wende ich mich wieder Roland zu. Luca wickelt ihm gerade einen Verband um den Arm. Nur gut, dass der alte Mann uns so gut ausgestattet hat.
»Das muss reichen, bis wir einen Unterschlupf haben«, knurrt Roland und entzieht Luca seinen Arm. »Wir sollten hier verschwinden. Der Blutgeruch wird gleich noch mehr Tiere anlocken .«
Mir zittern noch immer die Beine, als wir
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