Tesarenland (German Edition)
diese Waffen anrichten können, weiß ich. Unsere Aufseher hatten welche, um uns besser unter Kontrolle halten zu können. Ich habe aber nie gesehen, wie ein Mensch damit erschossen wurde, nur wie eins dieser Gewehre einen Vogel vom Himmel geholt hat.
»Das ist eine AK17 und das eine M60«, erklärt er. »Da drin sind noch ein paar süße kleine Mädchen.« Er stockt, mustert mich wieder, dann grinst er. In seine Wange graben sich dabei tiefe Falten. »Ich nenne sie immer meine Mädchen.«
Ich nicke verständnisvoll, habe aber keine Ahnung, warum man diese Tötungswerkzeuge mit Mädchen vergleichen sollte.
Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen. Wenn man sich nicht mehr bewegt, wird einem die Kälte viel bewusster. Ich reibe mir über die Arme und hoffe, dass Luca mich nicht noch viel länger mit dem gruseligen Kaninchen allein lässt. In meinem Gesicht beißt der eisige Wind und ich befürchte, meine Zehen wollen nicht länger der Winterdürre ausgeliefert sein.
»Ich bin müde«, wimmert Kayla und drängt sich an mich heran. Ich tätschle ihr den Kopf und wiege sie sanft hin und her. Ich würde auch gerne etwas schlafen.
»Schlafen ist nicht«, sagt Roland. Er geht vor Kayla in die Knie und nimmt ihre Hände zwischen seine. »Ein bisschen müssen wir noch laufen. Hier in der Nähe der Stadt ist es einfach zu gefährlich. Wir suchen uns einen Unterschlupf und dann entferne ich euch erst mal diese verdammten Sender. Kann ja nicht sein, dass so ein hübsches Mädchen wie eine Kuh gekennzeichnet ist. Wie heißt du denn?« Ich finde nett, wie er Kayla versucht Mut zu machen, aber ich mag ihn trotzdem nicht besonders. Und ich kann nicht einmal genau sagen, woran es liegt. An seiner rauen Art, dem vogelartigen Gesicht mit der langen spitzen Nase, der abschreckenden Narbe, für die er sicher nichts kann?
»Kayla«, sagt sie leise. »Tut das weh ?« Sie schaut zu mir auf, als würde sie die Frage an mich richten. Wahrscheinlich vertraut sie dem Kaninchen so wenig wie ich.
»Nur ein klein bisschen«, sagt er. »Aber dann können die Tesare dich nicht mehr überall finden. Und das ist doch toll, oder?«
» Hmm«, macht Kayla. Dann ruft sie nach Luca.
»Schon gut, Süße. Er kommt, wenn er soweit ist. Er hat gerade seine ganze Familie verloren, weißt du? Da muss auch der härteste Mann ein paar Minuten für sich sein .«
»Luca ?«, schluchzt Kayla.
Mir fahren die Worte des Kaninchens bis in die Zehen. Die ganze Familie? Mein Magen schnürt sich zu. Daran habe ich gar nicht gedacht. Wie egoistisch von mir. Luca hat nicht verdient, alle zu verlieren, die er liebt. Er hat alles für uns geopfert, um dann zu erfahren, dass seine Flucht ihn nirgendwohin führen würde. Da ist niemand mehr, der auf ihn wartet. Er ist genauso allein, wie Kayla und ich.
»Okay, verschwinden wir hier«, sagt Luca, er steht plötzlich neben mir und ich fahre zusammen. Sein Blick huscht kurz zu mir. Ich schaue weg. Ich will nicht, dass er sich schämt, weil ich seine roten Augen bemerkt habe. Ich weiß doch, dass Männer nicht weinen. Trotzdem drücke ich für einen Moment seine Hand. Der Kontakt mit seiner Haut hat bei mir einen anderen Effekt, als erwartet. Es kribbelt in meiner Hand, fährt meinen Arm hinauf und setzt sich als Flattern in meinem Magen fest. Ich schlucke und entziehe Luca meine Hand wieder. Das Kaninchen sieht uns mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Also dann los. Ein paar Kilometer von hier gibt es einen alten Bauernhof. Ist ziemlich zerfallen, aber im Keller des Gebäudes kann man gut ein paar Stunden ausruhen .« Er deutet auf meinen Arm. »Und das andere werden wir da auch los.«
Kayla nimmt meine Hand. Wir laufen weiter die Böschung entlang, obwohl die Straße bequemer wäre und weit und breit kein Auto in Sicht ist. Aber als eins der kleineren Flugobjekte der Tesare über unseren Köpfen hinwegfliegt, verstehe ich, warum wir uns bei dieser Kälte durch das meterhohe Gestrüpp kämpfen. Von der Straße aus hätten die Tesare uns sofort entdeckt. Hier unten, inmitten all dieses Unkrauts sind wir bei Nacht fast unsichtbar.
Während das Kaninchen vor uns läuft, läuft Luca hinter uns. Immer wenn ich daran denken muss, dass seine Augen die meiste Zeit auf meinen Rücken gerichtet sind, spüre ich wieder dieses Kribbeln durch meinen Körper fahren. Es macht mich ganz wahnsinnig, deswegen versuche ich, es zu ignorieren. Aber wenn ich mich nicht auf dieses Gefühl konzentriere, schweifen meine Gedanken zu
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