Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
Boden. »Bevor ihr einsteigt, müsst ihr alle das hier ausfüllen und unterschreiben!« Der Mittvierziger reicht den vier Mitfahrern kleine Din-A5-Blätter, auf denen geschrieben steht:
Hiermit bestätige ich, den Fahrer von jeglicher Haftung auszunehmen. Ich reise bei dieser Mitfahrgelegenheit auf absolut eigene Gefahr mit.
Datum und Unterschrift.
Konsterniert blicken sich die vier Mitfahrer an. Was sie da unterschreiben sollen, ist ein vollständiger Haftungsausschluss. Für den Fall, dass der Fahrer einen Unfall baut, können die vier Insassen ihn nicht auf Schadensersatz verklagen. Michael fährt oft mit der Mitfahrgelegenheit, aber so was ist ihm noch nie untergekommen. Auch die anderen drei Mitfahrer sind irritiert. Sie beratschlagen sich: Was soll das? Was bedeutet vollständiger Haftungsausschluss? Was machen wir? Unterschreiben wir oder nicht?
Michael geht zu seinem Fahrer und sagt: »Entschuldigung, das kann ich jetzt nicht unterschreiben.« Der schaut an ihm vorbei auf den Boden und antwortet. »Dann nehm’ ich dich nicht mit.« Ein paar Sekunden später fügt er hinzu. »So jetzt, alle unterschreiben und einsteigen, ich will endlich losfahren.« Drei Mitfahrer – eine Meinung: Bei so einem will ich nicht mitfahren. Allerdings ist es neun Uhr abends an einem regnerischen Sonntagabend in einem Vorort von München. Jeder will unbedingt heute noch nach Köln.
Schweren Herzens unterschreibt jeder Mitfahrer und steigt ein. Selbst wenn man unterschreibt, kann der Fahrer nicht völlig aus dem Schneider sein, wenn er grob fahrlässig fährt. Aber sicher ist sich Michael nicht. Dann fährt der schwarze Kombi los. Im Inneren herrscht eisiges Schweigen. Jeder ist sauer auf den Fahrer und hofft, dass nichts passiert.
Der Kombi biegt auf die Autobahn und fährt Richtung Nürnberg. Sandro lenkt den Wagen auf die Überholspur und beschleunigt auf 150 km/h. Ein paar hundert Meter vor ihm biegt ein langsamer Golf auf die Überholspur. Jeder normale Fahrer würde jetzt langsam vom Gas gehen und warten, bis der Golf die Überholspur wieder verlässt. Doch der Fahrer des schwarzen Kombis scheint den Wagen vor sich überhaupt nicht wahrzunehmen. Ungebremst rast er auf den langsameren PKW zu. Erst kurz vor ihm bemerkt der Fahrer den Golf, bremst scharf und gibt wieder Gas, sobald der Volkswagen auf die mittlere Spur zurückgekehrt ist.
So spät und hektisch reagiert der Fahrer jedes Mal, wenn ein anderes Fahrzeug vor ihm auf die Überholspur fährt. Auch das noch, denkt sich Michael. Erst lässt er uns einen Haftungsausschluss unterschreiben, und dann fährt er unsicher. Der Mann hinter dem Lenkrad beginnt in seiner Hemdtasche zu nesteln, zieht eine Packung Zigaretten heraus und versucht sich eine anzuzünden. Freihändig auf der Überholspur! Alles starrt nervös auf den Fahrersitz. Schließlich schafft es Sandro. Mit der linken Hand raucht er, die rechte hat er am Lenkrad. Die Asche seiner Zigarette fällt ihm auf die Hose. Sofort nimmt er die Hand vom Lenkrad und wischt sich die Asche ab. Nach vorne auf die Straße schaut er gar nicht mehr, ist nur noch auf die Asche auf der Hose konzentriert. Der Wagen macht einen Rechtsschlenker und kommt auf die mittlere Spur. Die Nervosität bei den Mitfahrern steigt.
Plötzlich piept es. Der Fahrer hat eine SMS bekommen. Er nimmt die Zigarette in den Mund, hält das Lenkrad mit der linken Hand, legt das Handy auf seinen Schoß und beantwortet die Kurznachricht mit der rechten Hand. Ein Linksschlenker diesmal, die Leitplanke kommt bedrohlich nahe. Entsetzt starren die vier Insassen ihren Fahrer an, doch der schreibt die SMS seelenruhig zu Ende.Als er das Handy auf das Armaturenbrett zurücklegt, atmen alle auf.
Doch nicht lange. Ein paar Minuten später – er raucht gerade die nächste Kippe – klingelt sein Handy. Zigarette in der linken Hand, Handy zwischen Ohr und rechter Schulter – so vereinbart er seine nächste Mitfahrgelegenheit. Morgen will er von Köln wieder nach München fahren. Dann deutet er mit seinem rechten Zeigefinger auf seinen Beifahrer. Wieder fährt er freihändig. Der Beifahrer versteht nicht, was er will. »Hast du einen Stift und einen Zettel? Ich muss kurz was notieren«, ruft der Fahrer und spricht weiter ins Handy. Der Beifahrer zückt einen Kugelschreiber, reißt eine Seite aus seinem Filofax und reicht dem Fahrer beides. Der nimmt seine Zigarette in den Mund, hält das Lenkrad mit links, quetscht das Handy ans Ohr und presst den Zettel
Weitere Kostenlose Bücher