Teufel in High Heels
mich lange nach Feierabend an einem Freitag noch im Büro erreichte, traf mich etwas unerwartet.
Ich holte scharf Luft und preschte vor. »N-na ja, ich wollte mich noch bei ein paar Büchern, die ich diese Woche übernommen habe, auf den aktuellen Stand bringen.«
Vivian witterte Furcht selbst durch das Telefon - und schlug gnadenlos zu. »Unterbrechen Sie mich nicht, wenn ich rede. Und überhaupt, was soll das heißen, ›auf den aktuellen Stand bringen‹?«, äffte sie mich mit hoher, blecherner Stimme nach. »Sie lesen die Unterlagen, reden mit dem Autor - dazu braucht man keine höhere Wissenschaft und schon gar nicht so endlos viel Zeit. Ach ja, und wegen Ihrer Nachricht, dass Sie schon wieder was Literarisches einkaufen wollen: Ich habe die Schnauze gestrichen voll von diesen Manuskripten, Claire. Ein paar können wir machen, okay, aber sie werfen schlicht nichts ab! Schluss, aus, fertig. Vielleicht war Jackson Mayville auf diesen hochgestochenen Literaturscheiß aus, den mit viel Glück zehn Leute kaufen, ich bin es nicht. Bei Grant Books habe ich die Zügel in
der Hand, Claire, und wenn Sie hier überleben wollen, dann kommen Sie runter von Ihrem Elfenbeinturm und machen sich klar, was die Leute lesen wollen. Wieso bin ich eigentlich die Einzige, die das kapiert? Wieso verdammt noch mal bin ich die Einzige, die so was wie Instinkt hat? Ihr ganzen elitären Snobs, ihr abgehobenen Hochgebildeten, ihr seid so … so scheißblutarm, dass ich das kalte Kotzen kriege.«
Ich rang nach Luft. Dem Gefühl nach hatte ich soeben einen Schlag mit der Abrissbirne in die Magengrube bekommen. Solche Worte, von Vivian zu mir? Nachdem ich mir den Arsch aufgerissen hatte, um mich als fähige Lektorin zu erweisen - nachdem ich klaglos 25 Bücher übernommen hatte, obwohl mir damit kaum noch Zeit für meine eigenen Projekte blieb - nachdem ich seit meinem Einstieg kein freies Wochenende mehr gehabt hatte …
»Wie alt sind Sie noch mal, sechsundzwanzig?«, fauchte Vivian. Ihr flammender Zorn schlug mir aus dem Hörer entgegen, den ich krampfhaft umklammert hielt. »Das reinste Kind. Sie sind Ihrer Aufgabe nicht im Mindesten gewachsen. Was habe ich mir bloß dabei gedacht, Sie einzustellen. Egal, ich muss los. Ich muss nämlich noch arbeiten , Claire. Ich kann nicht die ganze Nacht mit Ihnen am Telefon vertändeln.«
Klick.
Ich vergrub den Kopf in den Händen. Versuchte vergeblich wieder zu Atem zu kommen. Minutenlang war das sonst totenstille Büro von meinen verzweifelten Japsern erfüllt.
Der für das logische Denken zuständige Teil meines Hirns hatte natürlich nie ausgeschlossen, dass nach all denen, mit denen Vivian je zusammengearbeitet hatte, eines Tages auch
ich ihren ungezügelten Zorn abbekommen würde. Doch unbelehrbare Reste meiner Gehirnwindungen hatten sich - und mir - die ganze Zeit albernerweise vorgegaukelt, ich könnte ja vielleicht doch die eine Ausnahme sein, ihr vergötterter Protegé, die Lieblingsschülerin.
Mit steinschwerem Herzen packte ich meinen Kram zusammen und ließ im Büro alles an Ordnern stehen und liegen. Für jemanden wie mich, die seit ihrer Geburt stets und ständig nach Anerkennung dürstete, war es ein schwerer Schlag ins Kontor, mir von meiner Chefin letztlich sagen lassen zu müssen, dass ich Scheiße gebaut hatte . Ich war noch nie von jemandem angeschrien worden - zumindest nicht so ätzend, nicht so absolut vernichtend.
Ein klares Zeichen. Die Flitterwochen waren vorbei.
»Schätzchen, so schlimm kann das doch nicht gewesen sein«, sagte Randall väterlich und rührte die Eiswürfel in seinem Scotch um. Da Bea sich schon nach Long Island verzogen hatte, war ich, zugegeben als zweite Wahl in Sachen Mitgefühl und seelische Unterstützung, auf ihn verfallen - neues Terrain für uns beide. Er hatte sich bereit erklärt, mich kurz auf einen Drink bei Hudson Bar & Books zu treffen, um dann gleich wieder zurück ins Büro zu hechten. »Vermutlich hatte sie einen harten Tag und suchte nur nach einem Sündenbock. Das kommt in der Geschäftswelt doch laufend vor. Bei Goldman haben sie mich am Anfang täglich zerpflückt. Wenn ich es jedes Mal persönlich genommen hätte, dass ein Vorgesetzter mich wegen irgendwas anschnauzt, wofür ich überhaupt nichts kann... dann wäre ich da nach drei Tagen weg vom Fenster gewesen.« Der Gedanke entlockte ihm ein Kichern.
Er hatte ja recht. Ich benahm mich kindisch, musste mir endlich ein dickes Fell zulegen. Gut, meine Chefin hatte mich
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