Teufel in High Heels
Sie war die braungebrannteste, dünnste Frau, die ich je gesehen hatte, tadellos gekleidet und gekrönt von einem Baiser aus blondiertem
Haar. »Randall, mein Schatz! Und Sie müssen Claire sein. Wir haben uns ja schon so darauf gefreut, Sie kennenzulernen, meine Liebe. Randall spricht in den glühendsten Tönen von Ihnen.« Mir wurde augenblicklich warm ums Herz. Randall erglühte für mich?
Randalls Vater, der bisher mit keiner Silbe zu Wort gekommen war, trat näher und gab mir die Hand. Nun war mir auch klar, wem Randall seine blendende Erscheinung verdankte. Sein Vater war sicher schon über sechzig, sah aber immer noch gut aus. Seine Kinnpartie war nicht mehr ganz straff, und aus der Nase wuchsen ihm hässliche Haarbüschel, doch im Ganzen hatte sein Gesicht die ursprüngliche Form bewahrt. »Schön, dass Sie da sind, Claire«, verkündete er mit dröhnender Stimme. »Das Wichtigste zuerst - was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?«
Zwei erschreckend harte Wodka Tonics später lachten wir im Quartett, und ich betrachtete alle im Raum mit zärtlichem Blick. An so eine Familie könnte ich mich glatt gewöhnen , dachte ich, während Randall II mein Glas ein weiteres Mal auffüllte und Lucille mir die nächste Dunhill anbot. Es tat gut, Menschen zu begegnen, die offensichtlich auch im vorgeschrittenen Alter nicht vorhatten, ihren Lastern zu entwachsen.
Mein Magen knurrte leise - ich hatte den ganzen Tag kaum einen Happen gegessen. Vivians Schimpfkanonade plus der bevorstehende Elternabend waren zu viel für meine Nerven gewesen. Wie auf ein Stichwort erschien ein Hausmädchen in steif gebügelter Tracht mit einem Vorspeisentablett. Dankbar nahm ich ihr ein mit Parmaschinken umwickeltes Stück Melone ab. Gerade noch rechtzeitig. Wenn ich nicht sofort etwas in den Magen bekam, würde ich es nie
im Leben bis zum Dinner schaffen. Randalls Vater war wahrhaftig nicht knauserig mit seinem Wodka.
»Nein danke, Carlotta«, wehrte Lucille ab, ohne dem Tablett auch nur einen Blick zu gönnen.
»Für mich ebenfalls nichts«, schloss Randall sich an.
Der dienstbare Geist setzte das Silbertablett zwischen mir und Mr. Cox ab, der mit sichtlichem Vergnügen ein paar Krebsküchlein verputzte. »Die sind ja köstlich«, sagte ich und griff mir ein zweites.
Mr. Cox nickte. »Probieren Sie doch mal die Lachspastetchen«, ermunterte er mich.
»Wie schaffen Sie es bloß, so rank und schlank zu bleiben, meine Liebe?«, fragte Lucille mit einem verkniffenen Lächeln, als ich mir eins der Blätterteigteilchen von dem silberglänzenden Tablett angelte.
»Mutter«, raunte Randall ihr warnend zu. Ich ließ meinen Fang auf die Cocktailserviette fallen und hatte plötzlich das Gefühl, als wüchse mir eine Schweineschnauze. Kein Wunder, dass der erwachsene Sohn dieser Dame jeden einzelnen Bissen schätzungsweise hundertmal kaute.
»Claire, ich habe Ihre Mutter im College geradezu abgöttisch verehrt«, gurrte Lucille und legte eine knochige Hand auf meinem Arm ab. Damit teilte sich die Unterhaltung schlagartig in Zweiergrüppchen auf. Randall und sein Vater, die einander völlig entspannt mit gekreuzten Beinen gegenübersaßen und dabei identische Kaschmirsocken über passenden Slippern von Gucci sehen ließen, begannen eine lebhafte Diskussion über Investmentfonds. Lucille rückte mit ihrem schmächtigen Leib näher an mich heran.
»Oh, vielen Dank«, erwiderte ich. »Sie hat dasselbe gesagt -«
»Wir waren wie Schwestern in Vassar! Haben absolut alles miteinander geteilt - Haarbürste, Studienaufzeichnungen, Kleider, hin und wieder sogar Jungs !« Die Erinnerung entlockte Lucille ein trällerndes Gelächter. »Wissen Sie, ich bin weder vorher noch hinterher je so eng mit jemandem befreundet gewesen. Tish-Tish war einfach einmalig.«
Tish-Tish? Was für ein grauenvoller Kosename. Nie hatte ich irgendwen Mom so nennen hören. Wie traurig, dass eine Freundschaft sich so weit auseinanderentwickeln konnte wie die ihre. Ich dachte an Beatrice. In letzter Zeit war ich mit der Arbeit und meiner neuen Beziehung dermaßen ausgefüllt gewesen, dass unsere Gespräche zu reinen Kurzchecks verkommen waren. Ob unsere Lebenswege wohl jemals so diametral auseinanderlaufen würden, wie es bei Mom und Lucille der Fall war? Der Gedanke war mir nie gekommen - und er jagte mir kalte Schauer über den Rücken. Wenn man Lucille so hörte, waren auch sie und Mom einst nahezu unzertrennlich gewesen - und hatten sich mittlerweile seit über zehn Jahren
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