Teufel in High Heels
oft, all die Bücher um sie herum, die sie im Lauf der Jahre gelesen hatten, gäben ihr das Gefühl, als wäre Dad noch bei ihr im Haus. Darum würde sie niemals wegziehen.
»Hey, ist das von deinem Dad?«, fragte Luke und zog ein Buch heraus.
Ich sah mir an, was er in Händen hielt: Dads ersten Gedichtband. Seltsam, dass Luke genau danach gegriffen hatte. Ein cremefarbenes winziges Bändchen, herausgegeben von einem genauso kleinen, mittlerweile nicht mehr existierenden Verlag. Dad arbeitete damals noch an seiner Promotion. Obwohl im Folgenden ein Dutzend weitere Gedichtbände von ihm erschienen waren, lag dieser erste mir immer noch besonders am Herzen.
»Ich habe jede Zeile davon mindestens tausend Mal gelesen«, sagte ich zu Luke und spürte dabei den bekannten Kloß im Hals. »Ich kann das ganze Ding auswendig. Zum Glück - weil ich nämlich die einzige Ausgabe, die ich besaß, irgendwie beim Auszug aus dem Wohnheim von Princeton verloren habe. Mom hat mir zwar ihr Exemplar als Ersatz angeboten, aber ich hatte ein schlechtes Gewissen, es anzunehmen, nachdem ich das andere verschlampt habe. Und der Verlag hat damals nur eine ganz geringe Auflage gedruckt, darum habe ich das Buch nie wieder irgendwo aufgetrieben.«
»Eines Tages fällt dir sicher noch mal eins in die Hände«, ermunterte mich Luke.
»Ich hoff’s.« Allein darüber nachzudenken, machte mich schon traurig. Ich gab Luke die Handtücher, und er verschwand lächelnd im Bad.
»Und, isst irgendwer die Flaschenkürbissuppe mit dem Apfelweinschaum?«, meckerte Harriet. »Ich hab’s dir doch gesagt, Suzanne, dass es ein Fehler ist, Suppe bei einem Büfett zu servieren - wer soll denn einen Teller und eine Suppentasse gleichzeitig tragen?«
»Ja, tut mir leid«, gluckste Suz, ohne im Mindesten danach auszusehen. »Schätze, damit sind wir quitt - weil ich dir gesagt hab, wir müssten mindestens doppelt so viele Spargel-Schinken-Crostini mit Fonduta machen!«
»Hä? Was ist das denn?« Ich schnappte mir einen Leckerbissen vom Tisch und stopfte ihn mir in den Mund - meine Dauerbeschäftigung, seit wir hier gelandet waren. Offenbar hatte sich mein Magen so weit entkrampft, dass er Essen wieder genießen konnte.
»Genau das, was du da gerade vertilgt hast«, erwiderte Suzanne und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Und, wie geht’s dir, Kleines? Deine Mom hat uns erzählt, du wärst in letzter Zeit praktisch an deinen Schreibtisch gekettet. Aber dein Freund ist echt süß!«
»Luke?« Ich warf einen Blick zum Nachbartisch, an dem Luke munter mit Mom schwatzte. »Er ist nicht mein Freund, Suz, bloß einer meiner Autoren. Okay, wir sind auch befreundet. Mein Freund musste arbeiten, deswegen konnte er nicht mitkommen. Aber er hat die ganzen Blumen hier geschickt. Ist das nicht lieb?« Ich deutete auf einen Berg weißer Rosen, den Randall ein paar Stunden zuvor per Kurier hatte liefern lassen.
»Ja, na ja, also ich würde mir den da sichern«, meldete sich Harriet zu Wort. »Sieht gut aus, ist witzig, zum Knuddeln - und guck doch mal, was er mit deiner Mom anstellt. So hab ich sie nicht mehr lachen hören, seit...« Sie ließ die Hand in der Luft kreiseln.
»Luke ist toll, da stimme ich dir zu. Aber Randall auch.«
»Na sicher doch, Claire.« Suzanne nickte. »Hör nicht auf Harriet. Ooh! Jetzt ist deine Mutter dran mit ihrem Auftritt. Schsch! Ruhe!«
Mom klopfte zaghaft an das Mikrofon, das ganz vorn im Zelt aufgebaut worden war. »Ich danke euch allen, dass ihr gekommen seid! Und freue mich, verkünden zu können, dass wir mit den Erträgen aus der diesjährigen Veranstaltung im nächsten Jahr nicht nur einem, sondern sogar zwei Studenten die Teilnahme an der Schriftstellerwerkstatt ermöglichen können. Vielen Dank für eure unglaublich großzügigen Spenden!« Das ganze Zelt brach in tosenden Beifall aus. »Und jetzt möchte ich meine Tochter Claire Truman nach vorne bitten, die mit ›Kubla Khan‹ von Samuel Taylor Coleridge den Anfang machen wird.«
Das las ich nun im fünften Jahr hintereinander vor. Es zählte zu der Handvoll von Dads Lieblingsgedichten, die er mir beim Zubettgehen immer wieder aufgesagt hatte. Im Inneren hörte ich immer noch seine Stimme, wenn ich es vorlas, spürte ihn immer noch neben mir auf der Kante meines breiten Betts.
Es ist schön, wieder daheim zu sein, dachte ich, während ich nach vorn ging und all die Menschen sah, die mir so nahestanden. Und wusste, ohne hinzuschauen, dass Luke mir
Weitere Kostenlose Bücher