Teufel in High Heels
gerade erst mit dem Frühstück fertig, aber beim Anblick der Leckereien, die sie uns da eingepackt hatte, lief mir schon wieder das Wasser im Mund zusammen.
»Danke, Mom«, sagte ich, umarmte sie, so fest ich konnte, und wünschte mir, ich müsste nie wieder loslassen.
Fünfzehntes Kapitel
Herz der Finsternis
»Carl. Vivian hier, Schatz. Claire Truman ist auch zugeschaltet. Sie schreibt mit, das heißt, du kannst dich zurücklehnen und lauschen, Baby.«
»Klingt gut, Viv«, antwortete Carl Howard mit seiner kratzigen Kettenraucherstimme.
Ich hockte allein in meinem fensterlosen Kabuff, den Brummschädel auf die Hand gestützt. Hatte ich tatsächlich vor weniger als vierundzwanzig Stunden noch an dem alten Bauerntisch in unserer Küche gesessen, Kaffee geschlürft, den Duft von Moms Bananenbrot im Backofen gerochen und von ferne das Sonntagsvormittagsprogramm in unserem alten Radio dudeln hören? Es kam mir vor, als wäre ich schon eine Woche lang wieder zurück in der Hölle - dabei war es erst Montagmittag.
Ich nahm eine Scheibe von Moms Bananenbrot aus der Tüte und biss ein Eckchen ab, in der Hoffnung, damit die heimatlichen Gefühle ein wenig wiederzuerwecken. Aber in der Pestluft meines Büros schmeckte es nicht wie sonst. Ich warf es in den Müll.
»Claire, sind Sie da?«, fragte Vivian.
»Ich bin da, Vivian. Hi, Carl.«
Carl lebte in Miami und war ein überaus begnadeter
Ghostwriter, der fast die Hälfte unserer Bücher verfasste. Er hatte ein bemerkenswertes Talent, jedem Autor genau die richtige Stimme zu verpassen und die Geschichte so zu erzählen, wie es der Autor selbst niemals hinbekommen hätte. Außerdem arbeitete er sehr schnell, was ihn angesichts der gnadenlosen Produktionstermine von Grant Books zu unserem wertvollsten Mitspieler machte.
Ich kannte Carl nicht persönlich, aber er hatte mich einmal bei einem Schnellschussprojekt gerettet, das er praktisch über Nacht komplett umschrieb. Jeder Lektor bei Grant stand für solche oder ähnliche Aktionen in seiner Schuld.
Leider ließ Carl diejenigen von uns, die weiblich und auch nur halbwegs attraktiv waren, diese Schuld niemals vergessen. Angeblich trafen er und Vivian sich schon seit Jahren zu Schäferstündchen, wann immer ihr danach war - was seine sonstigen Annäherungsversuche für ihre Untergebenen nur umso peinlicher machte.
Das Ziel unserer heutigen Konferenzschaltung war, Carl von jetzt auf gleich als Ghostwriter für die Autobiografie von Morgan Rice zu gewinnen. Und die Story hatte es in sich. Rice, schwer drogenabhängige Rocksängerin und Aushängeschild für schlechtes Benehmen, hatte unter reger Anteilnahme der Weltöffentlichkeit einen vergötterten, schwer drogenabhängigen Rockstar geheiratet, der bei der Feier zum vierten Geburtstag ihres gemeinsamen Sohns an einer Überdosis gestorben war. Sie hatte sich bisher weder mündlich noch schriftlich je öffentlich über den Tod ihres Gatten geäußert, doch nun war sie bereit, alles für die Nachwelt festzuhalten (gegen einen Vorschuss im siebenstelligen Bereich). Unnötig zu erwähnen, dass ihre Offenbarungen mit Sicherheit ein Mordsaufsehen erregen würden.
Die Dame hatte sich vor nunmehr einer Woche endlich mit uns zusammengesetzt. Ihre Agentin hatte zuvor insgesamt acht Termine vereinbart, jedesmal aber in letzter Minute und mit einer völlig lachhaften Ausrede abgesagt. Als die Rockdiva es dann doch noch zu uns schaffte, schnappten wir bei ihrem Anblick nach Luft: wasserstoffblondes, in alle Richtungen steif abstehendes Haar, schreiend roter Lippenstift, offenbar auf gut Glück rings um ihren Mund verteilt, gelblich verfärbte Zähne und Fingernägel, glasige Augen und, natürlich, ihr Markenzeichen, die kleinen Einstichstellen in den Armen. Eine wahrhaft tragische Figur.
Die ich als Lektorin nun unter meinen Fittichen hatte. Wir planten, aus dem Wust, den sie im Lauf der Jahre angesammelt hatte und der ihr chaotisches Leben spiegelte, mit Hilfe eingestreuter, durchlaufender Erzählpassagen eine Art Tagebuch zusammenzustellen. Und zwar binnen vier Wochen. Vivian wollte das Buch vor dem Todestag von Morgan Rices Gatten auf dem Markt haben - was vom kommerziellen Standpunkt aus betrachtet durchaus verständlich war, die arme Dawn aber aller Voraussicht nach ins Grab bringen würde. Ein Buch, von dem noch kein Wort zu Papier gebracht war und das in Rekordzeit als Vierfarbdruck veröffentlicht werden sollte.
Dawn würde natürlich übermenschliche Anstrengungen
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