Teufel - Thriller
in Indien?«
»Nein, er war in Neu-Frankreich bei den Huronen. Cholera? Dann wäre er bereits tot, vertrocknet«, antwortete der Franzose. »Und wir, die ihn jeden Morgen anziehen, hätten uns längst angesteckt. Doch nur er alleine ist krank.«
Jauerling wischte sich die Finger am Habit des Kranken ab. »Was hat er da unten in dem Loch gesehen? Hat er darüber gesprochen?«
»Nein. Seine Sinne sind verwirrt«, antwortete Ferrand, »aber Ihr könnt ja Euer Glück versuchen.«
»Roger La Forge!« Jauerling lehnte sich auf seinen Stock und beugte sich vor. »Kann Er mich hören? Ich habe ein paar Fragen an Ihn!«
Keine Reaktion. Der Pater starrte weiter ins Leere.
»Roger La Forge! Was hat Er in dem Loch bei den zwölf Wächtern gesehen?«
Ein Zittern ging durch den Körper. Der Kranke richtete sich auf, packte Jauerling am Kragen und starrte ihm direkt in die Augen. Diesem blieb beinahe das Herz stehen. Er packte seinen Stock fester.
»… Akten… auf Wachstafeln… Ich habe mit fremden, uralten Augen gesehen. Das Wesen, es ist da unten… alles schwarz, alles tot…«
Jauerling horchte auf. »Was für Akten?«
»Die Mission… der Inhalt meines Lebens, alles Lüge!«, stammelte Pater Roger. Sein Blick wurde mit einem Mal starr, und ein atemloser Laut entfuhr seinem weit aufgerissenen Mund. Sein Körper bäumte sich unter Krämpfen auf, bevor er wieder kraftlos in sich zusammenfiel.
»Verdammt!«, entfuhr es Jauerling. Er schlug frustriert mit der Faust auf die Armlehne.
Überraschend erwachte Pater Roger nochmals aus seiner Umnachtung. Mit klarem Blick zog er Jauerling dicht an sich heran und begann stoßweise in sein Ohr zu flüstern. Aufmerksam hörte der Zwerg zu, bis La Forge die Kräfte verließen, er erneut aufstöhnte und am ganzen Leib zu zucken begann. Schaum bildete sich vor seinem Mund.
Jauerling sprang zurück. »Er hat einen Anfall!«, rief er. »So tut doch etwas! Sonst verschluckt er seine Zunge!«
Doch Ferrand stand starr und völlig hilflos neben dem Lehnstuhl.
Da fletschte La Forge plötzlich die Zähne wie ein wildes Tier, sprang auf und versuchte knurrend, Jauerling in die Kehle zu beißen. Nach einem Augenblick des Schreckens riss der Zwerg sein Florett aus dem Stock und stieß erbarmungslos zu. Die Klinge heftete den Kranken an die Rückenlehne des schweren Holzsessels.
»Großer Gott, steh uns bei…«, entfuhr es Jauerling.
Der Todeskampf des Priesters dauerte erschreckend lange. Erst langsam, nach und nach, erschlafften Pater Rogers zappelnde Beine. Ein kindlich unschuldiger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Sein letzter Blick fixierte Jauerling. Dann wich das Leben aus ihm.
Der Zwerg zog sein Florett aus der Leiche, wischte das Blut sorgsam von der Klinge und steckte es wieder in seinen Stock. »Schade um die Zeit und die Mühe der Reise, ich habe mir anderes erwartet«, stellte er enttäuscht fest. »Lebt wohl!«
Ohne sich nochmals umzusehen, verließ er die Zelle und lief zu der wartenden Kutsche.
Ferrand lief völlig aufgelöst neben der anrollenden Kutsche her. »Bitte, Exzellenz, nur einen einzigen Hinweis!«, flehte er.
Jauerling überlegte kurz. Rogers Worte waren kaum verständlich gewesen. Doch eines schien klar: »Rogers wirres Gestammel war eine Mischung aus Latein und Griechisch«, rief er Ferrand zu. »Es waren Untersuchungsberichte des Statthalters Pontius Pilatus an Kaiser Tiberius. Gehabt Euch wohl!« Ferrand, der gestolpert und in den eisigen Matsch gefallen war, kämpfte sich wieder auf die Füße und starrte der Kutsche hinterher, die wie ein Spuk im Nebel verschwand. Er spürte die Kälte nicht. »Tiberius«, flüsterte er. »Ich habe es befürchtet…« Dann bekreuzigte er sich, und die Tränen rannen über seine Wangen.
Das Wissen, das Jauerling jetzt besaß, war zu ungeheuerlich, um es mit jemandem zu teilen. Er war nach Turin gereist auf der Suche nach der Wahrheit.
Jetzt rannte er um sein Leben. Er war ins Licht gereist.
Jetzt musste er ins Dunkel untertauchen.
Jetzt hatte er den Beweis für eine jahrhundertealte Lüge.
Was sollte er dem Kutscher sagen? Der Leiter des Schwarzen Bureaus hatte keine Heimat mehr, keinen Glauben und kein Ziel. Eine Rückkehr nach Wien kam nicht infrage, da würden sie ihn zuerst suchen.
Knarrend und rumpelnd bog der Wagen auf die Straße in Richtung Nordosten, Richtung Ungarn ein und strebte den Bergen zu.
Sie würden ihn überall finden. Mit seinem Wissen überlebte man nicht lange. Er hatte lediglich
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