Teufel - Thriller
Tschak, der die ganze Zeit über nervös vor dem offenen Loch auf und ab gelaufen war. Jetzt war er sichtlich froh, dass sein Herrchen wieder oben war.
»Sie haben gesagt, in der Confessio wurde der Reliquienschrein des heiligen Servatius aufbewahrt. Was wissen wir über diesen Schrein?«, erkundigte er sich bei Scheugert.
»Der Schrein ist Teil des Domschatzes«, antwortete Scheugert und betrachtete interessiert die Fotos auf der Digitalkamera. »Das Servatiusreliquiar ist ein Elfenbeinkasten, der mit Goldfiligranarbeiten verziert ist. Er entstand um 870 im westfränkischen Reich. Die Darstellungen zeigen Jesus im Gespräch mit elf seiner Apostel. Einer, ich vermute, der Verräter Judas Iskariot, wurde weggelassen. Diese Szene spielt unter Rundbogenarkaden, über denen in kleinen Nischen die Tierkreiszeichen dargestellt sind. An der Vorderseite ist ein Amethyst als Verzierung angebracht, in Form des Kopfes des heiligen Dionysios.«
»Die Tierkreiszeichen und ein Amethyst…« Sina wurde heiß und kalt, er traute seinen Ohren nicht. »Sie haben aber vorher gesagt, das Kloster wurde 936 gegründet, und die Gebeine des Servatius wurden erst 961 aus Maastricht hergebracht. Soviel ich über Ihren Heiligen nachgelesen habe, bevor ich heute hergekommen bin, geht man davon aus, dass er identisch ist mit dem in alten Urkunden erwähnten Sarbatios, der auf der Synode von Sardika im Jahre 350 als erbitterter Gegner der Arianer aufgetreten war und im heutigen Belgien als Bischof gestorben ist. Sein eigentlicher Schrein wird bis heute in Maastricht verehrt. Zwischen der Ankunft des Reliquiars und der Entstehung des Quedlinburger Elfenbeinkastens liegen demnach 91 Jahre.« Er holte sein Notizbuch hervor und begann, wild darin zu blättern. »Fassen wir zusammen: Wir haben hier eine leere Schatzkammer sowie einen westfränkischen Schrein, der 91 Jahre darauf wartet, mit Knochen vom heiligen Servatius, einem erklärten Gegner des Arianismus, angefüllt zu werden. Auf diesem Schrein sind die zwölf Tierkreiszeichen und, wie zum Hohn, ein Amethyst, genau wie in Jauerlings Rätsel. Und wir haben eine fränkische Basilika auf dem Michelberg, die von den Ungarn, Gott weiß warum, zerstört worden ist. Was hätten die Ungarn von dort oben stehlen wollen, wenn nicht einen kostbaren Schatz wie diesen? Wenn Sie mich fragen, Barbara, drei zu null für Jauerling.«
Er klappte den Collegeblock geräuschvoll zu. »Jetzt wird mir endlich so einiges klar. Dieser Schrein war auf der Flucht. Immer in Bewegung, um nicht von heranrückenden Feinden gestohlen zu werden. Und Heinrich war der Stärkste, der Einzige, der mit seinem Heer in der Lage gewesen ist, die Ungarn aufzuhalten. Ganz klar, er bekommt den Schrein vom Michelberg, um ihn vor den Invasoren zu beschützen. Erst sein Inhalt macht ihn zum König, die Ottonen zu Kaisern und zu ernst zu nehmenden Rivalen der Päpste. Und sein Inhalt war nichts anderes als…«
»Nichts!«, rief Buchegger laut, stieß sich von der Säule ab und eilte in Richtung Ausgang. »Ich will hier raus! Ich kann nicht mehr atmen, ich bekomme keine Luft!« Sie zog Tschak an der Leine hinter sich her und verschwand im Halbdunkel.
»Nicht sehr professionell, die junge Kollegin«, schmunzelte Scheugert und blickte Buchegger mitleidig hinterher. »Ein wenig dünnhäutig, vor allem für Ihr Thema, Professor.«
»Was meinen Sie genau?«, erkundigte sich Sina vorsichtig. Er musterte Regina misstrauisch. Wusste sie etwas?
»Hören Sie mir gut zu«, begann die Museumsbedienstete leise. »Mein Vater hat hier auf dem Schlossberg gegraben, mit Wäscher und den anderen Archäologen des Reichsführers-SS. Er war weder ein Wissenschaftler noch ein SS-Angehöriger, aber er hat brav als Hitlerjunge Schubkarren voll Erde ins Freie gefahren. Eine nach der anderen, Hunderte. Dabei hat er oft genug die Grabungsleiter bei ihren Besprechungen belauscht. Vater verstand nicht alles, aber er konnte sich seinen Teil dazu denken…« Sie schaute Sina tief in die Augen. »König Heinrich haben diese Leute nicht für Himmler gesucht. Der König war nur eine Alternative, ein Plan B. Plan A wurde nie gefunden. Aber der Schrein des Servatiusreliquiars ist genauestens von einem SS-Offizier, einem Obersturmbannführer von der Abteilung Ahnenerbe, unter die Lupe genommen worden, wie ebenso die Confessio und der Rest der Krypta. Sie haben ganz recht, was auch immer Himmlers Leute gesucht haben, es war einmal in diesem Schrein, aber es ist nicht
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