Teufel - Thriller
Unterlippe.
Jesus in Santiago.
Wie musste sich Jauerling gefühlt haben? 1790, inmitten eines katholisch dominierten Europas? Wie allein war der Zwerg danach gewesen? Sina warf Paul einen Seitenblick zu. Hatten sie nur die leiseste Ahnung, was hier vorging?
»Unser Balthasar Jauerling muss für den Rest seines Lebens ein einsamer Mensch gewesen sein«, meinte Wagner schließlich. »Er wusste um eines der größten Geheimnisse der Religionsgeschichte und konnte es doch niemandem verraten.«
»Wahrscheinlich glaubte er an gar nichts mehr«, ergänzte Sina, packte den Kirchenführer von St. Cyriakus zu seinen Notizblöcken und wollte sie einstecken.
»Darf ich sehen?« Paul streckte die Hand aus.
»Was meinst du?«, gab Georg zurück. »Meine Aufzeichnungen? Gerne.« Er reichte dem Reporter die Blöcke, der sie durchblätterte. Er las Beschreibungen, Namen wie Schöngrabern und St. Servatius, sah kleine Skizzen.
»Hier ist deine ganze Reise versammelt, wenn ich das richtig sehe«, meinte er schließlich und gab sie Georg zurück.
»Ja, und die Lösung für Jauerlings Rätsel«, ergänzte der Wissenschaftler.
»Dann pass besser gut darauf auf«, lächelte der Reporter. »Wir werden jedes Detail für meine Schlagzeilen und deine Arbeit brauchen.« Er bemerkte die wachsende Nervosität Sinas. Die Falten auf der Stirn des Wissenschaftlers wurden immer tiefer. Paul kannte seinen Freund bereits seit den Kindertagen und er konnte in ihm lesen wie in einem offenen Buch. Aber was er nun sah, das gefiel ihm gar nicht.
»Lass mich raten«, begann er, »du bist nicht zufrieden. Dir sind die Antworten in einer Flut von ungelösten Fragen abhandengekommen. Hinter jeder vermeintlichen Lösung standen in Wahrheit immer wieder neue Probleme. Und das geht dir gegen den Strich.«
Sein Freund lächelte dünn. »Ist es so offensichtlich?«
»Wir wissen jetzt, wo der Corpus ist«, ließ sich Wagner nicht beirren. Er wollte Georg ein wenig aus dem Labyrinth seiner Gedanken heraushelfen. »Aber was machen wir nun? Auf nach Spanien, nach Santiago?«
Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre sinnlos«, meinte er resigniert, »zumindest im Moment. Solange wir nicht wissen, was Himmler in geweihter Erde begraben wollte, können wir uns die Reise sparen.«
»Warum?« Paul reagierte rein intuitiv. Eigentlich hatte er nichts dagegen, seine Recherche weiterzuführen, Spanien links liegen zu lassen und sich auf Himmler und seinen Transport zu konzentrieren. Andererseits wollte er Georg um kein Geld der Welt im Stich lassen. Sicher würden sie zu zweit mehr erreichen.
»Weil vielleicht Himmler etwas gefunden hat, das Licht in beide Fälle bringen könnte«, dachte Sina laut nach. »Schau, wir wissen nach wie vor nichts über den Inhalt dieses Transports nach Österreich. Du hast zwar herausgefunden, dass er kein Hirngespinst war, dass es ihn tatsächlich gab und dass er von der Wewelsburg abging. Aber was seinen Inhalt betrifft, sind wir völlig ahnungslos.« Der Wissenschaftler seufzte. »Ich habe es dir schon in Quedlinburg gesagt. Selbst wenn ich die Knochen von Jesus in den Händen halten würde, es gäbe keinen einzigen Beweis dafür, dass es sich tatsächlich um die Überreste von Christus handelt. Wir werden nicht die Erlaubnis erhalten, das Grab in Santiago zu öffnen. Und selbst wenn … Was möchtest du finden?«
Paul lehnte sich neben Sina an die Kirchenmauer und blickte den letzten Pensionisten hinterher, die im Inneren von St. Cyriakus verschwanden.
»Wir haben nichts, außer einem zweihundert Jahre alten Rätsel eines exaltierten Zwerges, eine Menge Indizien und einen Transport Himmlers, wenn der denn Teil dieser Geschichte ist. Alle Gläubigen dieser Welt sind der Meinung, dass in der Kathedrale von Santiago der Apostel Jakobus verehrt wird, der Spanien von den Mauren befreit hat. Niemand würde mir, würde uns, auch nur ein Wort glauben. Möchtest du dich hinstellen und verkünden: He, Leute, ihr irrt euch, das ist nicht der Jünger, sondern der Meister selbst! Leider tot und zerfallen, aber immer noch hier!«
Wagner musste schmunzeln, während sich Georg schon wieder als Kontrolleur in den Wiener Verkehrsbetrieben sah. Dann wurde er wieder ernst. »Ist es denn überhaupt denkbar, dass die Reliquie von Jakobus in Wahrheit Jesus ist? Immerhin pilgern seit dem Mittelalter Gläubige aus ganz Europa zum Ende der Welt.«
»Natürlich ist es möglich!«, meinte Sina bestimmt. »In Santiago erlangte man die
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