Teufel - Thriller
finanziert hat oder wer der Auftraggeber gewesen ist. Plötzlich war ein Bautrupp da, so erzählt man sich, mit allen schriftlichen Genehmigungen und expliziten Aufträgen. Die gesamte barocke Kirchenausstattung, jedes Stück Verputz und aller Stuck wurden restlos entfernt. Selbst die geschnitzten Seitenaltäre, die Statuen, die Ölgemälde, der Hochaltar, einfach alles.« Er hielt kurz inne und kramte in seiner Sakkotasche. »Warten Sie, ich habe hier ein Foto. Es soll noch viel mehr geben, aber niemand hat sie jemals gesehen.« Damit zog er einen etwas zerknitterten Kirchenführer hervor und wies auf ein Schwarz-Weiß-Foto auf der Rückseite. Es zeigte eine opulent gestaltete Dorfkirche in barockem Glanz.
»Die Trupps haben sogar bei Nacht gearbeitet, das Gelände war weitläufig abgesperrt. Bevor die Leute überhaupt etwas mitbekommen haben, war der Spuk schon wieder vorüber«, erläuterte Mayröcker. »Keine Zeit, Einspruch zu erheben.«
Georg nahm dem Priester das Heft aus der Hand und betrachtete das Bild. »Es wurden also vor und beim Umbau Fotos gemacht. Könnte es sein, dass dieses Relief im Altarraum ebenfalls 1936 verschwand?«
Der Priester nickte.
»Wo sind die Negative und die Abzüge?«, erkundigte sich Sina.
Mayröcker schüttelte den Kopf. »Ich habe nur dieses eine. Soviel ich weiß, sind die Bilder in irgendein Museum in Wien gekommen oder ganz einfach verschwunden.«
»Wenn Sie etwas für immer loswerden wollen, spenden Sie es einem österreichischen Archiv. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede …« Georg wandte sich wieder dem Foto zu. »Haben Sie eine Brille?«
»Ja.« Mayröcker griff bereitwillig in seine Innentasche.
Sina benutzte die geschliffenen Gläser der Brille als Lupe. »Es waren zwei Reliefs, und zwar vorne am Altartisch. Kann ich das Heft behalten?«
»Aber gerne«, nickte der Geistliche. »Damit haben Sie auch einen Grundriss unserer Pfarrkirche.«
Sina konnte seinen Blick nicht von dem alten Foto abwenden. Gedankenverloren reichte er Mayröcker die Brille zurück und verabschiedete sich von dem Geistlichen. Ich habe in ein Wespennest gestochen, und dieser Pfarrer hat überhaupt keine Ahnung, dachte Georg. Was auch immer Jauerling hier vermutet hatte, es hatte vor ihm schon Prominenz angelockt: Friedrich III., Joseph II., Napoleon und einen anonymen Geldgeber, der gründlich und effizient gearbeitet hatte.
»Fahren Sie doch auf den Michelberg!«, sagte Mayröcker noch. »Da sind gerade archäologische Ausgrabungen im Gange! Das wird Sie interessieren!«
Sina nickte abwesend. »Danke, das werden wir sicher machen!«, gab er zurück.
Georg ging an der Nordwand der Kirche entlang in Richtung Parkplatz, als er wie vom Donner gerührt stehen blieb. Auf einem romanischen Relief spielte ein Fischweib die Harfe. Im Bild direkt daneben sah er einen Mann mit zwei Gesichtern, der von zwei anderen in einem Rad gedreht wurde. Sina zückte seinen Collegeblock und las nach:
»Wenn ein Fischweib die Harfe schlägt, beginnt der Kreis der Lebewesen. Den Zentaur leg zwischen dich und Eggenburg. Bist Du in jener Stadt, so erinnere dich ans Zweigesicht, des Fischweibs Nächsten, der ans Rad geflochten ward. Auch seinem Bild empfehle deine Schritte, und zwing die Sonnenreise auf die Erde, wie ich es dir geheißen.«
Das mussten die beiden Monatsreliefs sein, die Mayröcker erwähnt hatte.
Georg kannte nur einen Mann mit zwei Gesichtern, den antiken Gott Janus. Diese mythologische Figur gab seit den Römern dem Monat Januar seinen Namen.
Wer aber war das Fischweib? Welchen Monat stellte sie dar?
Im Kirchenführer musste die Antwort zu finden sein, überlegte der Wissenschaftler und blätterte in der dünnen Broschüre. Das Fischweib mit der Harfe stand für den Monat Dezember. Und auf den Dezember folgt der Jänner, darum ist das Zweigesicht auch des Fischweibs »Nächster«. Den Beginn des Weges, der ihn wahrscheinlich auch zu den Krügen von Kana führen würde, markierten die beiden klassischen Wintermonate zum Jahreswechsel.
»Lege im weiteren Gang der Zeit auf das Erdenrund die fehlenden Zehn aus Zwölf« , hieß es weiter unten im Text.
Der »Gang der Zeit« war also: Dezember, Jänner, Februar, März, April und so weiter. Die zwölf Monate.
Das war so weit logisch. Aber auf keiner der beiden Allegorien war ein Zentaur zu finden, stellte Georg enttäuscht fest. Möglicherweise war er eines der genannten »Lebewesen«?
Der »Kreis der Lebewesen« begann jedenfalls im
Weitere Kostenlose Bücher