Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)
Taumelnd, mit stumpfblickenden glasigen Augen stürmte er davon. Sein Geheul zerflatterte unter den steinernen Gewölbebögen des Instituts.
»Anakonda … Anakonda …«, hallte das Echo.
»Ihm nach, hol ihn zurück!« kreischte Iwanow Pankrat zu, der vor Entsetzen auf dem Fleck tanzte. »Er braucht Wasser … der Schlag hat ihn getroffen.«
Elftes Kapitel
Kampf und Tod
Moskau loderte in nächtlichem elektrischem Licht. Sämtliche Leuchtquellen brannten, und in den Wohnungen war kein Zimmer ohne Glühbirne mit abgenommenem Lampenschirm. In keiner Wohnung Moskaus mit seinen vier Millionen Einwohnern schlief auch nur ein einziger Mensch, mit Ausnahme der unverständigen Kinder. Man aß und trank, wie es gerade kam, man stieß Schreie aus, und alle Augenblicke beugten sich in sämtlichen Stockwerken verzerrte Gesichter aus den Fenstern und spähten in den Himmel, den Scheinwerferstrahlen kreuz und quer durchschnitten. Dort glühten immer wieder weiße Lichter auf, warfen schmelzende bleiche Kegel auf Moskau und verschwanden, erloschen. Am Himmel tönte ununterbrochen niedriges Flugzeuggebrumm. Besonders schlimm war es in der Twerskaja-Jamskaja. Auf dem Alexander-Bahnhof liefen nämlich alle zehn Minuten Züge ein, zusammengekoppelt, wie es gerade kam, aus Güter- und Personenwaggons und sogar Tankwagen. Die Waggons starrten von irrsinnig gewordenen Menschen, und die Twerskaja-Jamskaja entlang liefen sie in dichter Masse, fuhren sie in Autobussen und auf Straßenbahndächern, quetschten sie einander, gerieten sie unter die Räder. Auf dem Bahnhof flackerte andauernd hektisches Schießen über die Menge hinweg – Militärabteilungen versuchten, der Panik der wahnsinnigen Flüchtlinge aus dem Gouvernement Smolensk, die über die Weichen liefen, Einhalt zu gebieten. Auf dem Bahnhof flogen mit wütendem Geklirr die Scheiben aus den Fenstern, und sämtliche Lokomotiven pfiffen. Die Straßen waren mit weggeworfenen und zertrampelten Plakaten übersät, und die gleichen Plakate blickten im grellen himbeerroten Scheinwerferlicht von den Wänden. Jeder kannte sie schon, keiner las sie mehr. Sie meldeten, daß über Moskau der Kriegszustand verhängt sei. Panikmacherei wurde unter Strafe gestellt, und man erfuhr, daß bereits Abteilungen der Roten Armee, mit Gas bewaffnet, auf dem Weg ins Gouvernement Smolensk seien. Aber die Plakate brachten die brodelnde Nacht nicht zum Schweigen. In den Wohnungen gingen Geschirr und Blumentöpfe zu Bruch, man rannte herum, stieß gegen die Ecken, packte Bündel und Koffer aus und ein in der vergeblichen Hoffnung, sich zum Kalantschowskajaplatz, zum Jaroslawler oder Nikolausbahnhof durchschlagen zu können. Aber leider, alle Bahnhöfe, von denen Züge nach Norden und Osten abgingen, waren von einer dichten Kette Infanterie abgesperrt. Riesige Lastwagen kamen gefahren, schaukelnd und kettenklirrend, bis obenhin mit Kisten beladen, auf denen noch Rotarmisten mit spitzem Helm saßen, deren Bajonette nach allen Seiten starrten; sie transportierten die Goldmünzenvorräte aus den Kellern des Volkskommissariats für Finanzen ab. Andere Kisten trugen die Aufschrift »Vorsicht. Tretjakow-Galerie«. Autos fuhren blökend durch ganz Moskau.
In der Ferne flimmerte am Himmel der Widerschein eines Brandes; von dort tönten, das dichte Schwarz der Augustnacht erschütternd, ununterbrochen Kanonenschüsse.
Am Morgen zog durch das schlaflose Moskau, das kein einziges Licht gelöscht hatte, die Twerskaja hinauf, alles Entgegenkommende von der Straße fegend, so daß es sich in Haustüren und Schaufenstern quetschte, deren Scheiben zerklirrten, der vieltausendköpfige, hufeklappernde Wurm der Reiterarmee. Die Enden der himbeerroten Baschlyks baumelten auf den grauen Rücken, die Lanzenspitzen stachen gen Himmel. Die hastende und heulende Menge auf den Gehsteigen belebte sich schlagartig angesichts der vorwärtspreschenden und die schwappende Brühe des Irrsinns zerteilenden Reiterei, sie stieß anfeuernde, hoffnungsvolle Rufe aus.
»Es lebe die Reiterarmee«, kreischten überschnappende Frauenstimmen.
»Sie lebe hoch!« antworteten die Männer.
»Hilfe, ich bin eingequetscht!« heulte es irgendwo.
»Hilfe!« rief es vom Gehsteig.
Zigarettenschachteln, Silbermünzen, Uhren flogen von den Gehsteigen zu den Reitern, Frauen sprangen auf die Fahrbahn, liefen, ihre gesunden Gliedmaßen riskierend, rechts und links neben dem Kavalleriezug her, klammerten sich an die Steigbügel und küßten sie.
Durch
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