Teufels Küche
meisterhaft gefälschten Miros und Chagalls und Braques, die im Empfangsbereich an den Wänden hingen, und nicht einmal von den signierten (echten) Daumierdrucken, die den Korridor schmückten, der zum Büro des Chefs des Westküstenbüros führte. Was Citron eher beunruhigte, war die Grabesstille, als er Dale Winder durch den Korridor folgte. Keine schrillen Telefone, keine klappernden Schreibmaschinen, keine rasselnden Fernschreiber, kein Stimmengewirr. Nur geschlossene Türen, hinter denen, wie Citron argwöhnte, perfekte, grauenhafte Lügengeschichten sorgfältig ausgeheckt wurden. Er dachte sich sogar selber eine aus: KLEINKIND IN KÜHLSCHRANK GESPERRT – ZEHEN ABGENAGT, war sich aber keineswegs sicher, ob er sie nicht im Investigator aufgeschnappt hatte, den er einmal überflogen hatte, als er mit Lebensmittelgutscheinen in der Hand vor der Kasse des Boys Market in Marina del Rey in der Schlange stand.
Es war ein langer Korridor, und als sie sich seinem Ende näherten, lächelte Dale Winder aufmunternd über die Schulter zurück. »Wir sind fast da«, verkündete er und riß eine Tür auf. Sie führte in ein kleines Vorzimmer, daß an den Wänden nur eine brillante Kopie eines blauen Clowns von Picasso aufwies. Auch hier stand ein antiker Schreibtisch, auf dem nichts zu sehen war, außer den gefalteten Händen einer auffällig hübschen jungen Chinesin.
»Der verlorene Sohn«, sagte Dale Winder.
»Wirklich.« Sie lächelte Citron an. »Gehen Sie bitte hinein, Mr. Citron. Sie werden erwartet.«
»Ich bring Sie nach Hause, sobald Sie fertig sind«, sagte Dale Winder. »Rufen Sie einfach nach mir.«
»Okay«, sagte Citron, ging zu der Tür, legte die Hand auf die Klinke, seufzte, drückte sie herunter, schob die Tür auf und trat in das Büro von Gladys Darlington Citron, die sich, wie er sofort sah, kaum verändert hatte.
Sie trug nach wie vor ihre Chanelkostüme, bemerkte er. Sie besaß davon mehr als nur ein Dutzend, und einige waren mindestens zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt. Das eine, das sie anhatte, war altrosa, und wie immer steckte am Aufschlag das rote Band der Ehrenlegion, das ihr de Gaulle Ende 1946 für ihre bemerkenswert blutigen Dienste in der Résistance persönlich überreicht hatte. Citron wußte, daß das der Grund war, weshalb sie fast immer Kostüme trug: damit sie einen Platz hatte, an dem sie die Auszeichnung zeigen konnte.
Mit zweiundsechzig hatte ihr Haar die Farbe von Silber. Von kostbarem alten Silber. Sie trug es in einer Welle, die dicht über eines ihrer kühlen grünen Augen fiel, ihr linkes, und dann zu einem Chignon zurückgekämmt war, der ungezwungen wirken sollte. Aber nicht eine einzige Strähne war nicht an ihrem Platz. Citron konnte sich nicht erinnern, daß das je der Fall gewesen wäre.
Gladys Citron hatte sich durch Diät und Training ihre Figur erhalten: Sie aß nie mehr als 1350 Kalorien am Tag, ohne Ausnähme, und turnte täglich dreißig Minuten streng nach den Gymnastikvorschriften der Canadian Air Force. Sie war mit jenen Backenknochen gesegnet, die verhindern halfen, daß ihre Haut erschlaffte. Es gab ein paar Fältchen und Runzeln, insbesondere um die Augenwinkel, aber das Kinn war fest, der lange Tänzerinnenhals immer noch recht gut, und alles in allem war sie weitgehend eine Schönheit geblieben.
»Du darfst mich küssen, Morgan«, sagte sie, »falls du nicht der Meinung bist, das sei übertrieben demonstrativ.«
Sie bot ihm ihre Wange. Citron küßte sie flüchtig. »Wie geht es dir, Gladys?«
»Glänzend«, sagte sie. »Absolut glänzend.«
Sie saß hinter einem fast leeren, zweihundert Jahre alten Schreibtisch, der gestern vom Schreiner abgeliefert worden sein konnte oder vielleicht auch vorgestern. Sie zog eine Schublade auf, nahm ein schmales, graues Etui heraus und schob es Citron hin.
»Setz dich doch bitte, Morgan.«
Citron setzte sich. Sie betrachtete ihn nachdenklich. »Du siehst gut aus. Ein bißchen dünn, aber gut. Und, mein Gott, du siehst genauso aus wie er. Dein Vater.« Sie klopfte auf das schmale Etui. »Für dich. Ein Geschenk zu deinem vierzigsten Geburtstag.«
Citron berührte das Etui nicht. »Ich bin zweiundvierzig, und mein Geburtstag war im Juni.«
Mit einer anmutigen Handbewegung schob sie den Einwand beiseite. »Greif zu. Mach es auf.«
Citron öffnete das Etui. Auf einem Bett aus schwarzem Samt lag eine goldene Rolex Oyster, fast genau die gleiche, die er Stück für Stück bei Sergeant Bama gegen
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