Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
gehen Betroffene eher offen um, natürlich besteht auch hier eventuell ein gesteigerter Hang, sich an eine dominante Persönlichkeit zu binden. Doch bei den Bindungsverlusten im Kindes- und Jugendalter und der Erfahrung von sexueller Gewalt tendiere ich im Zweifelsfall zu BP. Hast du Akteneinsicht in die Unterlagen der Jugendhilfe?«
»Nein, das ist ja schon Ewigkeiten her«, gestand Julia ein. »Außerdem habe ich die meisten Dinge gerade erst erfahren. Wir sollten das aber ins Auge fassen.«
»Ja, vielleicht gibt es dort aufschlussreiche Informationen, ist nur so eine Idee. Der sexuelle Übergriff mit siebzehn muss ja nicht der erste gewesen sein. Mir fällt gerade noch etwas ein, was die Sache vielleicht etwas mehr abrundet. Moment.« Es raschelte im Hintergrund, dann sprach Alina weiter, offensichtlich zitierte sie eine Textpassage: »Borderline-Patienten hassen sich selbst und andere zugleich, während sie sich in ihrem Kern nach Liebe, Zuwendung und Anerkennung sehnen.«
»Klingt zutreffend«, murmelte Julia. »Vielleicht erklärt das auch, warum sie in einem sozialen Beruf arbeitet.«
»Unbedingt! Leider sind Sozialberufe ein Sammelbecken für junge Menschen mit eigenen Sozialisationsschwierigkeiten. Sie möchten anderen gegenüber die Dinge besser machen, die bei ihnen selbst schiefgelaufen sind, doch diese Art der Selbsttherapie funktioniert leider nicht immer.«
»Für morgen früh steht eine weitere Befragung dieser Frau an«, sagte Julia zögernd. »Ihr Freund ist inhaftiert, das dürfte sie doch beeinflussen. Wie soll ich deiner Meinung nach damit umgehen?«
»Fass sie nicht mit Glacéhandschuhen an, denn das würde sie dir nicht abkaufen. Sei du selbst, also bleib in der Rolle der Ermittlerin, die sich primär für den Fall interessiert und nicht für das Seelenheil der Menschen. Das klingt pathetisch, aber ganz gleich, welche Symptome sie nun hat, solche Menschen sind hochgradig sensibel. Wenn ihr euch einigermaßen sicher seid, dass dieser Jugendfreund seine nächsten Jahre im Kittchen verbringen wird, solltest du diese Karte ruhig ausspielen.«
»Und dann?«, fragte Julia, die noch nicht ganz überzeugt davon war, warum sich das als eine sinnvolle Strategie erweisen sollte.
»Sieh es einmal so: Sie ist krankhaft an diesen Mann gebunden, obwohl sie es in ihren guten Phasen überhaupt nicht will. Aber sie braucht ihn, um sich Bestätigung zu holen. Es ist wie Drogensucht, in vielen Bereichen zumindest. Sobald du ihr diesen Zwang durch höhere Gewalt wegnimmst, nämlich die Staatsgewalt, die ihn einbuchtet, wird sie nach der neu gewonnenen Freiheit greifen.«
»Hm, das hat ja sogar schon einmal geklappt«, murmelte die Kommissarin. »Das erste Mal, als der Typ im Gefängnis gesessen hat, heiratete sie prompt. Leider war beides nicht von Dauer.«
»Umso glaubhafter muss es also jetzt sein«, betonte Alina, »denn solange sie davon überzeugt ist, dass ihr Retter und Feind, was dieser Mann ja gleichermaßen verkörpert, wiederkehren könnte, kann sie sich von ihren Zwängen nicht befreien. Das wahre Gefängnis ist ihre Seele, die es verlernt hat, auf eigenen Füßen zu stehen, vergiss das nicht.«
»Das klingt, als könne es funktionieren, auch wenn es natürlich ein Risiko ist. Aber ich denke da noch an eine weitere Möglichkeit«, gab Julia zu bedenken. »Scheidet die Frau selbst für dich als Verdächtige aus?«
»Als Mordverdächtige? Tendenziell schon«, kam es zögerlich, »wobei sich das nun wirklich nicht am Telefon beurteilen lässt. Ist sie denn tatverdächtig?«
»Immerhin fehlt ihr für beide Abende ein Alibi. Mein Gefühl sagt mir zwar etwas anderes, aber ich habe es so verstanden, dass Menschen in einer Manie dazu neigen, Dinge zu tun, die ihnen im Normalfall niemand zutrauen würde. Oder anders gesagt: Es könnte ja auch Kalkül sein. Auch wenn das zugegebenerweise recht vage ist, denn mir erschließt sich noch kein Motiv. Ich muss nur alle Richtungen prüfen.«
»Diese Möglichkeit kannst du getrost hintanstellen, denke ich. Wenn sie tatsächlich in einer depressiven Phase ist, könnte sie jedenfalls kaum manische Handlungen vollziehen, denn dann wäre sie vom ganz normalen Alltag bereits hinlänglich überfordert. Und das Hin- und Herschalten kann ein Mensch nicht steuern, das ist ja das Teuflische an dieser Erkrankung. Depressive Personen fügen sich eher selbst Schaden zu, weil sie ihrer Verzweiflung nicht mehr gewachsen sind. Dasselbe postuliere ich übrigens auch für
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