Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
beharrte Julia. »Vielleicht finde ich einen passenderen Begriff, aber Wehner ist ein Mensch, der Autorität ausstrahlt.«
»Das kann eine Vaterfigur auch«, warf Hellmer ein.
»Stimmt. Nur leider nicht automatisch auch beim eigenen Sohn. Wehner hat die Gabe, Menschen in seinen Bann zu ziehen. Manche Menschen zumindest«, ergänzte sie dann, »denn bei uns wird ihm das nicht gelingen.«
Zwanzig Minuten später erreichten sie im Konvoi Mörfelden-Walldorf. Nur allzu gerne hätte Hellmer seinem Porsche auf dem nur mäßig befahrenen, vierspurig ausgebauten Autobahnabschnitt die Sporen gegeben, doch er nahm Rücksicht auf die begrenzte Leistung des kleinen Peugeots seiner Kollegin. Julia Durant allerdings fuhr für die wenigen PS einen recht sportlichen Stil, im Autoradio dröhnte Meat Loaf, dessen ›I would do anything for love‹ sie ganz offensichtlich beflügelte, obgleich sie derzeit überhaupt nicht in Stimmung für schwermütige Balladen war. Doch sie brachte es auch nicht über sich, einen anderen Sender einzustellen.
Hellmers Reaktion auf Mike Cramers Identität und die Position seines Vaters im Präsidium war weniger überrascht ausgefallen, als sie es erwartet hatte.
»Hab mir schon gedacht, dass da irgendeine Mauschelei im Gange ist«, hatte er gemurmelt, »und wenn nicht unser Vize, dann ein Bürgermeistersöhnchen oder jemand, der mit einem Staatsanwalt Tennis spielen geht. Ist doch immer das Gleiche.«
»Das habe ich Berger auch gesagt«, war Julias Antwort gewesen, denn sie konnte Hellmers Unmut absolut nachvollziehen. »Aber er meinte, der Junge sei zur Sühne bereit, sonst hätte er sich niemals an seinen Vater gewandt. Die beiden haben nicht das innigste Verhältnis. Leider konnte ich bisher nur einen oberflächlichen Blick hinter die Kulissen werfen. Die Mutter scheint sich aus der Realität verabschiedet zu haben. Und der Vater ist ein typischer Karrieretyp, der von seinem Sohn erwartet, ebenso zu funktionieren, und dabei seine eigene Sturm-und-Drang-Zeit längst vergessen hat. Das alleine macht ihn natürlich nicht zu einem schlechten Vater, aber für Mike dürfte es der einfachere Weg gewesen zu sein, sich andernorts einen Zufluchtsort zu suchen. In seinem Fall war das wohl diese WG, in der er mit gefälschtem Nachnamen gelebt hat.«
»Hm, na ja, recht extrem, oder? Andererseits, wenn er das nötige Kleingeld dazu hat …«
»Mach dir am besten dein eigenes Bild. Ich muss Berger zugutehalten, dass er mir von Anfang an den Freiraum gelassen hat, die Situation sachlich zu beurteilen. Er hat mich nicht als seine Untergebene konsultiert, deren Ermittlungsergebnisse er dann im Schreibtisch verschwinden lassen möchte, sondern er möchte eine korrekte Handhabung. Das beinhaltet auch die Möglichkeit, Familie Cramer in einen riesigen Skandal zu verwickeln.«
»Gleichzeitig gibt es Cramer die Möglichkeit, sich nach außen hin abzusichern. Er kann sich, wenn es hart auf hart kommt, jedem Ausschuss gegenüber darauf berufen, aus eigener Intention heraus auf lückenlose Aufklärung hingewirkt zu haben. So ticken die da oben nämlich. Wenn er allerdings tatsächlich Sybille Hausmanns Mutter unter Druck gesetzt hat, war es ein übles Eigentor.«
Herbert Cramer trug einen dünnen grauen Rollkragenpullover, der lediglich am Bauchansatz ein wenig spannte. Eine Stoffhose und schwarze Slipper rundeten die elegante Erscheinung ab. Offensichtlich hatte er seine Tageskleidung gewechselt, zog aber auch zu Hause einen gewissen Stil vor, wie Julia schweigend registrierte. Nicht ungewöhnlich, schloss sie weiter, denn auch ihr Vater würde sich selbst in den eigenen vier Wänden nie in knittrigem Outfit zeigen. Als Pastor einer dörflichen Gemeinde konnte man nie wissen, ob nicht unangemeldeter Besuch kommen würde. Doch soweit sie wusste, arbeitete Cramer nicht zu Hause, empfing keine Klienten oder führte Dienstgespräche in seinem Bürozimmer. Vielleicht wäre eine dreckige Jeans und ein Werkzeugkoffer im Gartenhäuschen schon genug gewesen für seinen heranwachsenden Sohn, oder eine Jogginghose und ein Basketballkorb.
»Guten Abend, Frau Durant«, unterbrach Cramers Stimme – rhetorisch geschult und stets korrekt, höflich, unverbindlich und doch mit dem nötigen Maß an Vertrautheit – ihre Gedanken. »Und Herr Hellmer«, fügte er hinzu und zog die Stirn kurz in Falten.
Die Kommissare erwiderten die Begrüßung, und Julia Durant erklärte in knappen Worten, dass es noch einige Dinge zu klären
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