Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Stunden zu Hause sein wollte, aber nun war es zu spät, sich darüber zu grämen. Plötzlich fuhr er auf, als ihm ein Gedanke in den Kopf schoss. Verdammt! Es musste gegen achtzehn Uhr gewesen sein, er hatte gerade mit Elvira telefoniert. Brandt versuchte fieberhaft, das Gespräch zu rekonstruieren.
»Hi, mein Schatz …« Unwichtig.
»Wegen diesem Boeckler …« Hatte er seinen Satz so begonnen? Peter wusste es nicht mehr, sosehr er sich auch anstrengte. Hatte er stattdessen nicht nur »Um noch mal auf vorhin zurückzukommen« gesagt?
Elvira hatte ihm freundlich, ja sogar liebevoll zu verstehen gegeben, dass es ihrerseits völlig ausgeschlossen sei, einen Informationsaustausch zwischen dem K 11 und Ruben Boeckler zu organisieren. Ja, sie hatte den Namen Boeckler benutzt, aber Elvira saß ja auch kilometerweit weg im Schutze ihres Büros. Aber er, hatte Brandt den Namen laut ausgesprochen? Denn falls ja, hatte er ungewollt eine große Unvorsichtigkeit begangen. Im selben Augenblick, als er das Telefonat mit Elvira beendet hatte, war die Tür seines Büros aufgegangen, und Dieter Greulich war eingetreten.
»Na, Kollege, worum geht’s?«, hatte er gefragt und dabei sein unsympathisches, schiefes Lächeln aufgesetzt, aus dem jene Überheblichkeit sprach, die Brandt so verachtete.
»Recherche«, hatte der Kommissar abgewiegelt, doch Greulich hatte daraufhin eine seltsame Miene aufgesetzt, die im Nachhinein betrachtet zwar alles bedeuten konnte, aber die Ungewissheit wurmte Brandt. Er konnte Greulich leider nicht darauf ansprechen, also würde er damit leben müssen.
Verdammt, sagte er sich noch einmal, warum muss ich mich auch von allen Kollegen ausgerechnet mit diesem Arschloch herumärgern?
Donnerstag
Donnerstag, 10:14 Uhr
D er Vormittag zog sich zäh und ergebnislos dahin. Julia Durant hatte sich gemeinsam mit Doris Seidel die Informationen über Marion Kühnes Zeit als Heranwachsende angesehen. Eine weitere traurige Vita eines jungen Menschen, dessen biologische Erzeuger nicht willens oder nicht in der Lage gewesen waren, die Verantwortung zu übernehmen. Kleinkriminalität, Erziehungshilfemaßnahmen, dann die Trennung von ihrem Bruder, der mit Erlangen seiner Volljährigkeit die letzte Pflegefamilie verlassen musste.
»Ein Wunder, dass sie ihren beruflichen Werdegang durchgezogen hat«, waren Doris’ anerkennende Worte gewesen. »Sie hat ja praktisch nie einen Menschen gehabt, der ohne Eigennutz für sie eingetreten ist. Nicht einmal ihr Bruder.«
»Da steige ich auch nicht durch«, hatte Julia geseufzt. »Einerseits ist er von Kindesbeinen an mit ihr zusammen gewesen, aber nie schien er die Beschützerrolle innegehabt zu haben, die ihr eigentliches Idol übernahm.«
»Du redest von Lutz Wehner?«
»Klar.«
»Aber ein Idol? Ich weiß nicht.« Doris hatte eine skeptische Miene aufgelegt. »So wie er sie behandelt hat?«
»Er war sich seiner Macht eben sehr früh bewusst«, bekräftigte Julia ihre Einschätzung. »So konnte er sie kontrollieren, kujonieren, was auch immer. Der Wechsel von sexueller Unterwürfigkeit bis hin zur Vergewaltigung mag sich erst später entwickelt haben. Laut Alina ist ein hohes Maß an Hörigkeit bei Frauen, die von einer BPS betroffen sind, durchaus normal. Die Angst, seine Bezugsperson zu verlieren, ist viel zu groß. Aggressionen werden dann auf Umwegen abgeführt, treffen also oftmals völlig Unschuldige. Damit verprellt man die wenigen Personen, die einem wohlgesinnt sind, und steht am Ende so isoliert da, dass man sein Bedürfnis nach Nähe nur bei dem Peiniger stillen kann. Eben ein Teufelskreis«, seufzte sie achselzuckend.
So wenig Klarheit ihr die Gutachten und Diagnosen der alten Akten auch verschafft hatten, immerhin bestätigten sie die Einschätzungen von Alina Cornelius und Alexander Kühne.
Apropos.
»Wer hat sich um das Alibi von Dr. Kühne gekümmert?«, erkundigte sich die Kommissarin, und Doris verzog nachdenklich den Mund.
»Sabine, glaube ich.«
»Wo ist sie?«
»Sie ist ab heute Nachmittag wieder im Dienst. Aber ich habe vieles mitbekommen, worum geht’s denn genau?«
»Kühne hat davon gesprochen, sich mit den Quartalsabrechnungen beschäftigt zu haben«, erwiderte Julia und runzelte die Stirn. »Betraf das nun eine Nacht oder alle beide? Und konnte sich das irgendwie bestätigen lassen?«
»Ja und nein«, seufzte Doris Seidel. »Wir haben Protokolle der Schließanlagen von Haus und Praxis. Das Problem dabei ist nur, dass es dazu keine
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